Bewegende Zeiten – Mobilität der Zukunft

Räumliche Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis, hierin sind sich alle einig. Wie sie aber in Zukunft konkret aussehen wird, dazu unterscheiden sich die Vorstellungen allerdings deutlich. Technische Entwicklungen wie Elektroantriebe oder autonome Fahrzeuge, digitale Dienste wie online buchbare Fahrzeugfunktionen oder Ride Hailing, Regulatorische Vorgaben für Fahrzeugemissionen, Zulassung von Mobilitätsdiensten oder die Zufahrt in Stadtzentren sowie nicht zuletzt unterschiedliche gesellschaftliche Trends wie Nachhaltigkeit, Urban Living oder auch Digital Culture beeinflussen sich gegenseitig und machen die Frage nach der Mobilität der Zukunft extrem komplex. Wer sie für sich beantworten will tut gut daran, vor der Betrachtung des großen Ganzen den Elefanten in Scheiben zu schneiden und sich mit genau diesen Einflussgrößen einzeln auseinandersetzen.

Zu diesem Zweck habe ich mein neues Buch „Bewegende Zeiten – Zukunft der Mobilität“ verfasst, das ab sofort erhältlich ist. Seit über zehn Jahren tausche ich mich ich intensiv mit internationalen Stakeholdern der Mobilität aus: Fahrzeugnutzer, etablierte Hersteller und Start Ups, Lieferanten, Mobilitätsdienste, Energieversorger, aber auch Journalisten, Investoren, NGOs oder Vertreter von Kommunen und Ländern. Durch diesen so konstruktiven wie kontroversen Dialog konnte ich mir von der Mobilität der Zukunft ein in Summe doch ziemlich vollständiges und stimmiges Bild machen.

Mit meinem Buch möchte ich diese Erfahrung teilen. Die Bestandteile, Mechanismen und Rahmenbedingungen der Mobilität werden allgemeinverständlich und anhand von Beispielen aus der Praxis erklärt und diskutiert – nicht um ein fertiges Meinungsbild zu vermitteln, sondern um jede Leserin und jeden Leser zu befähigen, darauf aufbauend ein individuelles Zukunftsbild und somit eine robuste Strategie zu entwickeln.

Wer die Mobilität der Zukunft verstehen will, muss wissen, wovon sie abhängt. Das sind meiner Erfahrung nach:

  • Technische Trends – wie elektrische Antriebe, autonomes Fahren oder alternative Fahrzeugkonzepte
  • Digitalisierung – wie Function on demand oder Mobility on demand
  • Regulatorik – wie Emissionsgesetze oder Zulassungsbedingungen für neue Fahrzeugkonzepte und Mobilitätsdienste
  • Gesellschaftliche Trends – wie Nachhaltigkeit oder Digital Culture

Mobilitätssysteme

Warum fahren wohl in Innsbruck weniger Menschen mit dem Fahrrad in die Arbeit als in Amsterdam. Warum ist man in Los Angeles ohne Auto verloren, während man es in London eher mit Auto ist? Und warum ist Moskau kein Paradies für Motorroller so wie Barcelona? Wer belastbare Prognosen zur Zukunft der Mobilität machen will, muss die Akzeptanzkriterien für Mobilitätsangebote kennen und wissen, wie sich die Mobilitätsräume hierin unterscheiden.

Heute bestehende Mobilitätsräume unterscheiden sich in ihrer Größe, Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte, in ihrer Struktur (also ob sie ländlich, kleinstädtisch oder urban geprägt sind, monozentrisch mit dicht bebautem Altstadtkern wie München oder flächig mit vielen Einzelzentren wie das Ruhrgebiet), in ihren topologischen und klimatischen Gegebenheiten, der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur, aber zum Beispiel auch in der Verfügbarkeit finanzieller Mittel und der Aufgeschlossenheit der lokalen Behörden für neue Konzepte und Angebote.

Von all dem hängt ab, welche Mobilitätsangebote in einem bestimmten Mobilitätsraum möglich sind und auch akzeptiert werden. Diese Rahmenbedingungen werden in meinem neuen Buch „Bewegende Zeiten – Mobilität der Zukunft“ eingehend diskutiert, damit sich die Leserin oder der Leser ein robustes Bild davon machen kann, wie sich die Menschen dort in Zukunft fortbewegen werden.

E-Mobilität

BEV, HEV, PHEV, EREV, FCEV – wo liegt denn da jetzt der Unterschied? Werden Lithium-Ionen-Batterien immer besser und billiger – oder irgendwann doch von Wasserstofftanks abgelöst? Macht Vehicle to Grid Öko-Strom profitabel und senkt dabei die Kosten der Fahrzeugnutzung? Wer E-Mobilität als Megatrend belastbar bewerten möchte, muss sich mit ihren Komponenten und ihrer Anwendung auseinandersetzen, aber auch ihre Wechselwirkung mit Mobilitätsdiensten oder der Energiewirtschaft verstehen.

Der Blick auf die Zulassungszahlen zeigt, wie nachhaltig die Weichen in Richtung E-Mobilität gestellt sind, der Blick in die Medien, welch tiefgreifender Wandel daraus für das gesamte automobile Ökosystem resultiert: In die Reihen der Fahrzeughersteller und Lieferanten drängen sich unaufhaltsam neue Player, neue Komponenten wie speziell Antriebs-Batterien bieten immense technische und wirtschaftliche Chancen und Risiken, die erforderliche Ladeinfrastruktur erzwingt neue Kooperationen zwischen Automobilherstellern, Energieversorgern und Kommunen.

Wer den Megatrend E-Mobilität für sich seriös bewerten und etwa verstehen möchte, ob PHEV wirklich nur eine Zwischenlösung sind, ob Wasserstoff als Energieträger für Pkw eine Zukunft hat, oder ob in Technologien wie Vehicle to Grid und Battery 2nd Life ökonomisches und ökologisches Potenzial steckt, muss sich mit allen seinen Aspekten auseinandersetzen. Die objektive und solide Basis dafür finden Sie im Kapitel „Elektromobilität“.

Autonomes Fahren

Ein Auto, das von alleine fährt? Klingt super, aber mal Hand aufs Herz: Mit welchem Gefühl würden sie ihr Kind morgens in einen fahrerlosen Schulbus steigen lassen? Und: Würden sie sich selbst ein Fahrzeug ohne Lenkrad kaufen? Auch wenn die nötige Technik verfügbar ist, bleiben hinsichtlich der Zukunft autonomer Fahrzeuge nicht nur bei den Nutzern, sondern auch bei Herstellern, Gesetzgebern und Kommunen wichtige Fragen offen, für deren Beantwortung ein Gesamtverständnis erforderlich ist.

Die Vorstellung, von einem fahrerlosen Auto ans Ziel gebracht zu werden, ist sicher faszinierend. Die Technik dazu schreitet bei den Herstellern stufenweise voran, TESLA etwa bietet gerade eine „Full Self-Driving Option“ als Beta Test an. Bis man sich aber wirklich entspannt auf die Rückbank seines Fahrzeugs legt, während es von alleine weiterfährt, wird es aber wohl doch noch dauern.

Gleichzeitig entpuppen sich allerdings viele der als Vorteile des autonomen Fahrens aufgeführten Optionen – wie während der Fahrt schlafen oder arbeiten, sein Fahrzeug alleine ins Parkhaus fahren lassen oder auch dann Auto-mobil sein zu können, wenn man selbst keines fahren darf oder möchte – bei näherem Hinsehen als reine Vorteile des gefahren Werdens gegenüber dem selber Fahren und sind völlig unabhängig davon, ob nun ein Automat oder ein Mensch fährt.

Ob und für wen autonome Fahrzeuge wirklich Vorteile bringen wird im Kapitel „Technologische Trends: Autonomes Fahren“ ausführlich diskutiert.

Digitalisierung

Natürlich: Das mit der Digitalisierung in der Mobilität haben wir alle längst verstanden: Unsere Fahrzeuge sind connected. Wir sind, kaufen und buchen permanent online. Wir arbeiten agil und haben Krawatte und Budapester gegen Vollbart und Sneakers eingetauscht. Aber haben wir auch den damit verbundenen kulturellen Wandel im Blick, der sich sowohl bei den Kunden als auch bei den Mitarbeitern vollzieht, die wir in Zukunft auf den sich jeweils massiv verändernden Märkten gewinnen wollen?

Beim Thema digitaler Wandel und Mobilität fällt der erste Blick auf technische Veränderungen. Hier führt die Verfügbarkeit von Smartphones zusammen mit der Vernetzung von Autos im IoT und der Anwendung von KI zu völlig neuartigen Fahrzeugfunktionen und Serviceangeboten und verbessert gleichzeitig die dahinter liegenden Geschäftsprozesse radikal und nachhaltig.

Für noch bedeutender als diesen technischen Wandel halte ich allerdings den damit einhergehenden sozio-kulturellen. Persönliche Werte, Verhalten und Arbeitsweisen verändern sich längst nicht nur bei den Millenials, sondern quer durch alle Altersgruppen und die Gesellschaft – und damit eben zum einen bei den Kunden, auf deren Erwartungen ein Unternehmen sein Angebot ausrichtet, aber auch bei den qualifizierten Mitarbeitern, um die es sich heute auf einem sehr engen Bewerbermarkt bemühen muss.

Eine umfassende Analyse der Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Mobilität gebe ich im Kapitel „Digitalisierung“.

Mobilitätsdienstleistungen

Wie wird man ohne auch nur ein einziges Fahrzeug zu besitzen mit zwei Apps in wenigen Jahren zu einem der weltweit führenden Mobilitätsdienstleister? Das Beispiel Uber zeigt die Power und den Speed digitaler Geschäftsmodelle, aber auch die Hürden bei der Umsetzung. Denn: Mobility as a Service Angebote müssen drei Parteien gleichzeitig Mehrwert bringen: Den Nutzern, den Betreibern und den gesetzgebenden Kommunen bzw. Ländern. Nur dann können sie langfristig erfolgreich sein.

Um ohne eigenes Auto voranzukommen waren Taxis oder öffentliche Busse und Bahnen lange Zeit faktisch alternativlos. Diese aus deren Sicht höchst komfortable Situation wirbeln nun seit einigen Jahren neue Player kräftig durcheinander: Neben Car Sharing, der flexibleren Variante des Mietwagens, stehen nun mit Ride Hailing, Car Pooling oder Ride Sharing eine ganze Palette neuer Angebote zum Mitfahren zur Verfügung. Und das längst nicht nur mit Pkw, auch E-Scooter-Sharing, Motorrad-Taxis, Fahrrad-Rikschas oder Seilbahnen zählen dazu.

Doch die neuen Angebote werfen viele Fragen auf: Wann sind Menschen dazu bereit, auf ein eigenes Auto zu verzichten? Welche Fahrzeuge und Ausstattungen eignen sich dafür am besten? Wie können sich private und öffentliche Anbieter zum Vorteil der Kunden aber auch zum eigenen Vorteil sinnvoll ergänzen statt sich zu “bekriegen“? Und: Wie können Kommunen und Gesetzgeber das fördern? Antworten gibt es im Kapitel „Mobilität als Dienstleistung“.

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Talkin‘ Bout a Transformation …

#emobility

Ob nun sehnsüchtig erwartet oder nur widerwillig zugegeben: Inzwischen haben Sie wohl akzeptiert, dass Elektroautos unaufhaltsam auf dem Vormarsch sind. Und auch wenn man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass es auch im Jahr 2050 zumindest an manchen Orten noch Autos mit Verbrennungsmotoren geben wird, sieht es doch so aus, als ob sich Elektrofahrzeuge und Plug-in Hybride in den Städten durchsetzen werden. Weitaus weniger klar ist dagegen – auch wenn es immer mehr öffentliche Ladestationen gibt – wie EV-Fahrer mit der begrenzten Reichweite ihrer Fahrzeuge zusammen mit der wahrgenommenen Knappheit an Lademöglichkeiten zurechtkommen. Und während Sie von ein paar Ingenieuren wieder und wieder zu hören bekommen, dass Brennstoffzellen und Wasserstoff dieses Problem für immer lösen würden, lässt Sie die alptraumhafte Vorstellung eines riesigen Kraters nicht los, der sich nach einem Autounfall mit einem schlecht gewarteten Wasserstofffahrzeug über die gesamte Breite der Autobahn erstreckt.

#mobilityservices

Wenn Sie dann ihre Business-Magazine durchblättern, wird Ihnen immer wieder eingetrichtert, dass sich der Autobesitz, das jahrhundertealte Mobilitätsmuster Nummer eins, als Geschäftsmodell mehr oder minder im freien Fall befindet. Urbane Teenager, deren Väter im selben Alter noch von italienischen Sportwägen träumten, machen nicht einmal mehr den Führerschein. Wo Bahn, Bus oder Fahrrad keine Option wären, würden die Menschen keine Autos kaufen oder leasen, sondern sich ein Auto teilen oder einen Fahrdienst wie Uber rufen, den erschwinglichen und app-gesteuerten Nachfolger dessen, was lange Zeit als Taxi bekannt war. Was Sie aber noch mehr beunruhigt, ist, dass neue digitale Dienstleister bald das gesamte Mobilitätsgeschäft übernehmen sollen, wobei die einstmals stolzen Autohersteller zu einfachen Hardwareanbietern heruntergestuft werden und der öffentliche Personenverkehr um Unterlizenzen betteln muss.

#autonomous

Darüber hinaus hören Sie von den Autoherstellern aber, dass sie bald schon vollautonome Fahrzeuge auf die Straße bringen werden. Nicht nur so etwas wie ein fortgeschrittenes Fahrerassistenzsystem, sondern wirklich Autos, die weder Lenkrad noch Pedale haben, dafür aber viele extrem teure Sensoren und Software, die ausgiebig getestet werden und  ursprünglich für Militärflugzeuge entwickelten Sicherheitsstandards entsprechen muss. Und während Sie sich trotz aller Zuversicht und Vertrauens in die Technik immer noch fragen, wie es solche Autos jemals sicher durch ungesicherte Baustellen oder Schneestürme schaffen sollen und – was noch wichtiger ist – wer, abgesehen von Fahrdienstanbietern, solche Autos dann tatsächlich kaufen möchte, bekommen Sie mit, wie das angekündigte Datum, ab dem diese Robocars die Straßen unserer Städte bevölkern sollten, Jahr für Jahr nach hinten verschoben wird.

#digitalization

Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, sagen Ihnen dann einige von den Jungs um Sie herum, die Sneakers und Vollbart tragen und zu Hause E-Sports anschauen, dass Daten das neue Gold sind, dass Big Data noch mehr Gold bedeutet und dass Ihr Unternehmen deshalb agil arbeiten, schnell scheitern und fix etwas anbieten sollte, das Sie zwar als völlig inakzeptabel bezeichnen würden, von denen aber Minimal Viable Product genannt wird, und dass Sie dieses dann skalieren und sich selbst am Ende des Tages einer sogenannten digitalen Transformation unterwerfen sollten. Und das alles natürlich ganz unabhängig davon, ob Sie in der Automobilindustrie, im Bereich der Mobilitätsdienstleistung, Energie, öffentlichen Verkehrsmitteln, Versicherungen, Gesetzen oder wo auch immer tätig sind. Nachdem Sie darüber nachgedacht haben, beschleicht Sie irgendwie das Gefühl, dass das alles zwar nicht wirklich neu aber trotzdem beunruhigend ist. Wenn Sie nur diese vielen komischen IT-Buzzwords verstehen würden.

#change

Wenn Sie in den letzten Jahren irgendwo im Bereich der Mobilität beschäftigt waren, klingt all dies wahrscheinlich seltsam vertraut. Sie, der kampferprobte Manager, jetzt etwas orientierungslos und unbestimmt in diesem überwucherten Dschungel der Mobilität der Zukunft. Wie passt das alles zusammen? Die gute Nachricht ist: Noch nie ist jemand durch Software alleine von einem Ort zum anderen gebracht worden. Aber die Tatsache, dass Fahrzeuge und die Smartphones ihrer Insassen eine exponentiell steigende Datenmenge senden und empfangen, dass sie mit Back-End-Servern und untereinander verbunden sind und dass künstliche Intelligenz aus diesen Daten erstaunliche und wertvolle Informationen schaffen kann, wird nicht nur die Funktionalität von Fahrzeugen und Mobilitätsdiensten verbessern, sondern auch die Art und Weise wie sie entwickelt, produziert bzw. ausgerollt, vermarktet und verkauft werden – und vor allem, wie Fahrzeuge und ihre Privat- oder Firmenkunden nach dem Verkauf bedient werden– dramatisch verändern.

Der Schlüssel zum Überleben und zum Erfolg liegt im Wandel. Letztendlich stellt sich weder die Frage, ob man sich proaktiv an der digitalen Transformation beteiligen sollte, noch wann man es tun sollte (die Antworten sind ja und jetzt). Die einzige Frage ist, wie – und kann von den menschen, die Ihr Unternehmen über die letzten Jahrzehnte dahin gebracht haben, wo es heute steht, in der Regel nicht ausreichend beantwortet werden …

Umzingelt von Idioten – oder lässt sich der Mobilitätswandel nicht doch etwas differenzierter betrachten?

Mobilität bewegt auch die Emotionen 

Ein Blick auf die Kommentare zu entsprechenden Posts hier in LinkedIn oder anderswo belegt: Der Mobillitätswandel betrifft jeden einzelnen sehr direkt – und ist dementsprechend emotional belegt. Vergleichbar zu Themen wie Kernenergie oder Migration gilt: Wer eine andere Meinung vertritt als ich selbst, und diese Meinung – egal ob tatsächlich oder nur angenommen – meine eigenen Lebensumstände bedroht, greift mich persönlich an, und ich schieße dementsprechend schnell und scharf zurück. Eine sachliche Auseinandersetzung bleibt da oft auf der Strecke.

Dabei ist es offensichtlich, dass es die für alle richtige Lösung nicht gibt, ja nicht geben kann. Es hat bezüglich der Mobilität nicht nur jeder seine eigenen individuellen Vorlieben und Prioritäten, es muss auch jeder mit seinem eigenen Rahmen aus individuellen und generellen Sachzwängen zurechtkommen – sei es die persönliche Lebenssituation inklusive der verfügbaren finanziellen Mittel, die lokale Verfügbarkeit bestimmter Mobilitätsangebote samt erforderlicher Infrastruktur oder die jeweils geltende Gesetzeslage.

Wer also den Familienvater, der auf dem täglichen Weg von seinem Haus mit Garage in einer beschaulichen Gemeinde im Landkreis an seinen Arbeitsplatz im nahegelegenen Gewerbepark noch nie im Stau stehen geschweige denn sich Gedanken um einen Parkplatz machen musste, auffordert, sich doch endlich über den Verzicht auf seinen Pkw Gedanken zu machen, wird dabei durchaus begründet auf wenig Verständnis stoßen. Wer umgekehrt im Stadtzentrum wohnt, wo die monatliche Stellplatzmiete in einer Tiefgarage in der Größenordnung der Leasingrate eines Mittelklassewagens liegt, und von seiner Wohnung aus in weniger als einer Viertelstunde mit der U-Bahn ins Büro kommt, ist vermutlich gottfroh, kein eigenes Auto mehr zu besitzen und bei Bedarf Alternativen wie Car Sharing oder Ride Hailing nutzen zu können.

Wandel, ja natürlich. Aber wovon wohin? 

Unbestritten ist: Mit dem eigenen Auto zu fahren galt jahrzehntelang in der Mobilität als Standard, und dementsprechend wurden auch alle anderen Arten der Fortbewegung als Mobilitätsalternativen bezeichnet – völlig ungeachtet der Tatsache, dass diese Alternativen zum Teil schon deutlich länger verfügbar sind und speziell in den Metropolen auch von weit mehr Menschen genutzt werden als eigene Pkw. Fakt ist aber auch: Die aus diesem Standard in den Städten entstandene Verkehrssituation wird von den dort lebenden Menschen – und zwar sowohl von Autofahrern als auch von anderen Verkehrsteilnehmern – tagtäglich und zunehmend als massives, multidimensionales Problem wahrgenommen: Auf der einen Seite durch Verkehrsstaus und Parkplatzknappheit, auf der anderen Seite durch Verschlechterung der Luftqualität, zunehmende Emission von Treibhausgasen und Lärm, Verschlechterung der Verkehrssicherheit und Belegung des knapper werdenden öffentlichen Raums durch fließenden und ruhenden Verkehr. Dass immer mehr Menschen in die Ballungszentren ziehen und dort mit einem eigenen Auto mobil sein wollen, verschärft die Situation dabei unaufhörlich weiter.

Darüber, dass sich an der Verkehrssituation etwas ändern muss, sind sich alle davon Betroffenen einig; darüber aber, wie sich die Probleme tatsächlich lösen ließen und ein entsprechender Wandel konkret aussehen sollte, gehen die Meinungen deutlich auseinander: Wer weiterhin Auto fahren möchte, hofft auf mehr Straßen und Parkmöglichkeiten, sei es durch Erweiterung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur oder indem möglichst viele andere auf Mobilitätsalternativen umsteigen. Wem die Emissionsreduzierung am Herzen liegt, der wünscht sich die durchgängige Ablösung von Verbrennungsmotoren durch elektrische Antriebe. Und wer in seiner Umgebung wieder mehr Grünflächen und Platz für alternative Mobilität haben möchte, dem schweben vielleicht Innenstädte ganz ohne private Pkw vor.

Extrempositionen der individuellen Mobilität 

Am Ende ist die reale Mobilitätssituation immer das Ergebnis der Summe der individuellen Entscheidungen, die innerhalb eines Rahmens aus persönlichen Möglichkeiten und Präferenzen, marktseitigen Angeboten, verfügbarer Infrastruktur sowie last but not least regulatorisch/politischen Bedingungen getroffen werden. Der Einzelne entscheidet dabei nicht nur über seinen persönlichen Mobilitätsmodus, er regelt vielmehr über die Nachfrage auch das Angebot an Mobilitätsprodukten und -diensten und beeinflusst durch Wahl einer Partei oder eines Abgeordneten auch die Förderung oder Ablehnung unterschiedlicher Lösungen durch regulatorische Vorgaben. Der Mobilitätswandel wird somit – zumindest in demokratischen Verhältnissen – direkt wie indirekt durch den Mehrheitswillen getragen. und ist deshalb für den Einzelnen oftmals nur schwer zu verstehen und zu ertragen.

In dieser Situation haben heute auf der einen Seite viele Menschen den Eindruck, dass sich Politik und Gesellschaft in immer mehr Dinge einmischen, die früher noch als reine Privatsache waren. Natürlich darf jeder rauchen – aber schon lange nicht mehr überall. Natürlich darf jeder anziehen, was er will – wird aber auch damit konfrontiert, unter welchen Bedingungen seine Kleidungsstücke am anderen Ende der Welt hergestellt wurden. Es darf auch grundsätzlich jeder essen, was er will – muss sich aber Fragen zu Fair Trade, Umweltschutz und Tierwohl gefallen lassen. Das gleiche Gefühl entsteht nun auch in puncto Mobilität: Darf ich denn jetzt nicht mal mehr Auto fahren?

Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit anderen persönlichen Werten und Prioritäten, die beispielsweise ökologischer und sozial nachhaltigem Leben und Handeln einen hohen Stellenwert einräumen, wunderbar ohne eigenes Auto zurechtkommen und sich aber durch das Mobilitätsverhalten anderer in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen. Von einem solchen Standpunkt her ist es dann häufig unverständlich, warum jemand um alles in der Welt an seinem eigenen Auto festhalten möchte.

Wie kommt man hier nun als Bürger mit Mobilitätsbedarf, als Mobilitätsanbieter oder auch als Politiker trotz aller Meinungsunterschiede zu vernünftigen und mehrheitsfähigen Lösungen? Unabdingbare Voraussetzung dafür ist die grundsätzliche Annahme, dass Menschen mit einer anderen Meinung als der eigenen diese nicht grundsätzlich aus Dummheit oder Bösartigkeit vertreten, und die darauf aufbauende Bereitschaft, sich in einer Betrachtung des Gesamtsystems sachlich und differenziert auch mit konträren Standpunkte auseinanderzusetzen. Dabei hilft ein Blick auf die Motive, aus denen Extrempositionen vertreten werden. In diesem Sinne sind in den Abbildungen 1 und 2 unterschiedliche Gründe aufgeführt, aus denen die Positionen „Ich fahre mit meinem eigenen Auto und will das auch weiter tun!“ und „Ich besitze kein eigenes Auto und will auch keines!“ eingenommen werden – jeweils absteigend nach Alternativlosigkeit geordnet.

Neben dem Verständnis für die Argumentation der „Gegenseite“ birgt diese analytische Betrachtung noch einen weiteren Vorteil: Sie fördert auch die Defizite der eigenen Argumentation bzw. des eigenen Angebots zu Tage: Wer Pkw verkaufen möchte tut gut daran zu verstehen, warum manche Menschen dieses Angebot nicht oder nicht mehr anspricht, und mit welchen Fahrzeugen oder Diensten Kunden gehalten oder zurückgewonnen werden könnten. Wer dagegen Alternativen zum eigenen Pkw anbietet sollte umgekehrt ganz genau darauf schauen, was denn Menschen dazu treibt, trotz allem weiterhin mit dem eigenen Auto fahren zu wollen.

Machen wir uns keine Illusion: Am Ende wird auch diese Vorgehensweise nicht zu einem Ergebnis führen, mit dem alle glücklich sind. Aber sie macht die Debatten um den Mobilitätswandel spürbar konstruktiver und führt diesen somit klar in Richtung eines Gesamtoptimums.