Du denkst, Du hast den digitalen Wandel voll verstanden …

… aber du hast immer noch so ein komisches Gefühl, dass dein zukünftiger Schwiegersohn sein Geld als Blogger verdient.

… aber du glaubst eigentlich immer noch nicht, dass jemand durch Spielen von Computerspielen echtes Geld verdient.

… aber du verstehst nicht, wieso Digitalisierung die Erwartungen deiner Kunden verändern sollte.

…aber du fragst Dich, warum die Marke, die du vor zwanzig Jahren erfolgreich etabliert hast, plötzlich Wettbewerber hat, die vor zwei Jahren noch niemand gekannt hat.

… aber du erwartest trotzdem, dass deine Mitarbeiter ihre Aufgaben immer perfekt erledigen.

… aber du fühlst Dich immer noch irgendwie intellektuell überlegen, wenn du morgens durch Deine gedruckte Tageszeitung blätterst.

… aber du willst deine CD-Sammlung doch gerne weiter behalten.

… aber du glaubst immer noch, Deine Kinder könnten sich im Internet nicht weh tun.

… aber du wunderst dich immer noch, wie die früher vereinzelten Verrückten jetzt plötzlich alle zusammenfinden.

Sind wir wirklich so digital wie wir glauben?

Natürlich haben wir alle das Gefühl, bei der digitalen Transformation ganz vorne mit dabei zu sein: Wir schreiben schon lang keine Briefe mehr, chatten statt zu telefonieren, gehen nicht mehr ins Kaufhaus sondern bestellen bei Amazon, buchen Parkschein und Busticket mit dem Handy, bezahlen an der Supermarktkasse lässig mit der AppleWatch, und brauchen dank Netflix auch fast kein Großelternfernsehen mehr.

In Job und Ausbildung hat uns Covid 19 dazu gebracht, Business-Meetings, Vorlesungen und Schulunterricht online durchführen zu können (auch wenn letztere hier sicher noch Nachholbedarf haben). Und der ein oder andere analysiert auch schon seine Produktions- und Vertriebsdaten mit KI-Tools und erhält dadurch neue und oft überraschende Einsichten.

Trotzdem bleibt die Frage: Haben wir wirklich ganzheitlich verstanden, was die aktuelle digitale Transformation alles mit sich bringt? Wie sie sich von der Digitalisierung wie wir sie aus den letzten Jahrzehnten kennen unterscheidet, welche Chancen und Risiken sie birgt? Aber auch, welchen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel sie mit sich bringt? Und sind wir wirklich bereit, uns auf diese Veränderungen einzulassen und sie vielleicht sogar voranzutreiben – oder versuchen wir insgeheim nicht doch an manchen Stellen, den uns vertrauten Status Quo aufrecht zu erhalten?

Was ist denn jetzt eigentlich so anders?

Unter Digitalisierung versteht man – über Industrie, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hinweg – die Veränderung existierender Produkte und Prozesse durch digitale Technologien, die von deren einfacherer Anwendung über eine Anreicherung von Inhalten und Funktionen bis zur ihrer vollständigen Ablösung durch gänzlich neue Lösungen reichen kann.

Rückblickend kann die Erstellung und Bearbeitung von Texten, Tabellen, Bildern, Zeichnungen, Musik und Videos auf Computern als erste Stufe der Digitalisierung gesehen werden. Die weltweite Vernetzung dieser Computer, zunächst stationär, dann auch mobil, stellt Stufe zwei und drei der Digitalisierung dar und hat zu neuen völlig neuen Dimensionen in Kommunikation und Kooperation geführt. Als vierte Stufe haben die sich erdrutschartig verbreitenden Smartphones nicht nur dazu geführt, dass ihre Nutzer jederzeit und überall auf das Internet zugreifen können; sie haben vor allem über ihre Kameras, Mikrofone und Positionssensoren und den massenhaften Upload der von diesen erzeugten Daten verhaltens- und standortbezogene Angebote ermöglicht.

Jede einzelne dieser Stufen hat dabei nicht nur neue Lösungen und neue Player hervorgebracht, sondern insbesondere auch das Ende vieler lange etablierter Produkte, Unternehmen und Berufszweige eingeläutet. Zu den Opfern der ersten Stufe gehören beispielsweise die Hersteller von Kameras, Tonbänder, Schreibmaschinen oder allem, was zum technischen Zeichnen nötig war. Die zweite und dritte Stufe haben das konventionelle Postwesen, Telefax oder Ferngespräche massiv eingeschränkt, Dienste wie Telex komplett abgeschafft und Datenträger wie Disketten, CDs oder DVDs überflüssig gemacht. Stufe vier hat über Location Based Services vielen konventionellen Dienstleistern das Wasser abgegraben, beispielsweise den Taxiunternehmen durch App-basierte Ride Hailing Dienste.

Die fünfte Stufe, in der wir uns aktuell befinden (was nicht heißen soll, dass die vorangegangenen Stufen auch nur halbwegs abgeschlossen wären), ist technisch definiert durch die Möglichkeit, riesige Mengen an von der weltweit wachsenden Zahl von Computern, Smartphones, vernetzten Fahrzeugen und weiteren Dingen kontinuierlich bereitgestellten Daten zu sammeln und zu strukturieren (sog. „Big Data“), um sie dann mit Hilfe von KI-basierten Analytics Tools zielgerichtet zu analysieren und dadurch zu neuen, wertvollen Informationen zu kommen: Von welchen Rahmenbedingungen hängt wirklich ab, ob ein bestimmtes Produkt gekauft wird? Welche Funktionen eines Fahrzeugs werden tatsächlich am häufigsten genutzt – und welche gar nicht? Welche Inhalte einer Website sind attraktiv und führen zum online Kauf – und welche eher nicht? Aus solchen Analysen lassen sich zum einen kunden- und anforderungsgerechte Angebote ableiten (wie das bekannte „Kunden, die Produkt X gekauft haben, haben auch die Produkte Y und Z gekauft“); es lässt sich insbesondere aber auch mit immer höherer Genauigkeit das Verhalten von Menschen und technischen Systemen voraussagen. Das gilt für die erfahrungsbasierte Prognose von Verkehrsstaus, von Instandhaltungsbedarfen von vernetzten Maschinen, Anlagen oder Fahrzeugen oder auch von menschlichem Fehlverhalten. In der Medizin unterstützt die Datenanalyse die Früherkennnung von Krankheiten, im Finanzwesen die Voraussage von Markt- oder Kursbewegungen. Und manche Online-Händler behaupten sogar, sie könnten aus der Analyse des Kaufverhaltens einzelner Kunden nicht nur deren zukünftige Bedarfe voraussagen, sondern durch Vergleiche von Verhaltensmustern beispielsweise auch eine Ehescheidung prognostizieren, bevor die Beteiligten die Entscheidung überhaupt getroffen haben.

Neben all diesen technischen Möglichkeiten bringt die Digitalisierung aber gerade in dieser aktuellen Stufe auch noch eine bedeutende gesellschaftliche Veränderung mit sich: Die Ausbildung einer „Digital Culture“, dem Arbeits- und Lebensstil einer Generation, die mit der Digitalisierung groß geworden ist (sowie auch einiger Älterer, die diesen Stil übernommen haben), und der sich vom bisher Üblichen deutlich unterscheidet – wie folgende Beispiele illustrieren sollen:

  • Geringe Produkt- und Markenbindung. Wer mit „one click in“ schnell kauft, ist auch mit „one click out“ genauso schnell wieder weg. Es wird nicht erwartet, dass Treue belohnt wird. Neue Anbieter am Markt werden eher mit Interesse und Enthusiasmus denn mit Skepsis und Zweifeln hinsichtlich Qualität und Zuverlässigkeit betrachtet. Das gilt auch für die Treue dem Arbeitgeber gegenüber.
  • Breiter Informationsstand: Kunden sind nicht nur zu den Produkten und Dienstleistungen, für die sie sich interessieren, umfassend informiert, sondern auch zu deren Anbietern. Oft wird keine Kaufberatung benötigt, weil der Kunde sich vorab so gut informiert hat, dass er vom fraglichen Produkt mehr weiß als der Verkäufer. Dabei sind Digitals werteorientiert, hellhörig, und sensibel: Wer in Internetforen mit der Ausbeutung lokaler Arbeitskräfte oder der Verursachung von Umweltschäden in Verbindung gebracht wird, ist trotz inhaltlich attraktiver Angebote schnell wieder aus dem Rennen.
  • Feedbackkultur: Digitals sind es gewohnt, schnell und unkompliziert Feedback zu bekommen und auch zu geben. Ein like hier, drei von fünf Sternen da. Dass die Erfahrungen eines unzufriedenen Kunden bereits Minuten später samt aller Emotion weltweit lesbar in entsprechenden Internetforen und Netzwerken steht, und wie man darauf am besten regiert, ist für viele etablierte Unternehmen immer noch Neuland.
  • Transparenz: Wer von Digitals personenbezogene Daten verwenden möchte, sollte nicht auf deren schnelle Zustimmung hoffen, sondern klar den Mehrwert herausarbeiten, den diese durch die Überlassung ihrer Daten bekommen. Wer Digitals führen möchte, sollte seine Erwartungen klar und deutlich formulieren und sich an Vereinbarungen halten.
  • Nutzen statt besitzen: Wer mit Streaming-Diensten statt eigener CD- oder DVD-Sammlung groß geworden ist, hat auch z.B. bei Werkzeugen, Autos oder Fahrrädern weniger das Bedürfnis, diese besitzen zu müssen. Digitals sind allen Arten von „X as a Service“ gegenüber deutlich aufgeschlossener.

Warum ist das für Unternehmen nun so relevant: Weil sie mit diesen Digitals heute in vierfacher Hinsicht konfrontiert werden: Als aufgeklärte Kunden ihrer Produkte und Dienstleistungen, als anspruchsvolle und nicht uneingeschränkt loyale Mitarbeiter und Führungskräfte, als sachbezogene Politiker und Gesetzgeber, die den gesetzlichen Rahmen für digitale Produkte und Prozesse vorgeben, und last but not least als kritische und eher themen- als parteiorientierte Wähler dieser Politiker. Sich intensiv mit den Inhalten und Auswirkungen der Digital Culture auseinanderzusetzen ist für Unternehmen deshalb strategisch ein absolutes Muss.

Welche Chancen, Risiken und Veränderungen ergeben sich daraus?

Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen und Systemen zu prognostizieren, bietet ganz offensichtlich eine Vielzahl von unternehmerischen Chancen: Wer genau weiß, was der Markt sich wünscht, wie seine Produkte jeweils tatsächlich genutzt werden und in welchem Zustand sie sich gerade befinden, und somit seinen Kunden individuelle Service- und Produktangebote machen kann, ist nicht nur dem Wettbewerb gegenüber klar im Vorteil, sondern kann auch über den gesamten Wertschöpfungsprozess von der Entwicklung über Produktion und Vertrieb bis hin zu Service und Recycling seine Kapazitäten deutlich zielgerichteter planen und einsetzen:

  • Zielgerichtetes Produktmanagement inkl. individueller Produkt- und Serviceangebote
  • Anforderungsgerechte Produktauslegung (keine Über- oder Unterdimensionierung)
  • Früherkennung von Konstruktions- Produktionsfehlern
  • Individuelle Prognose von Wartungsbedarfen
  • Erkennung von Reparaturbedarfen
  • Geregelte Rücknahme / Recycling am Lebensende

Gerade weil dadurch in Summe die Attraktivität der Angebote für die Kunden so enorm steigt, werden Wettbewerber, die den Einstieg in diese Technologien und die Nutzung ihrer Potenziale versäumen,  relativ schnell den Anschluss verlieren. Ein in der Euphorie über die offenkundigen Chancen häufig übersehener Aspekt, der die gewünschte digitale Transformation im Unternehmen nicht nur aufhalten, sondern auch zum Scheitern bringen kann, ist die Unternehmens- und Führungskultur. Während der digitale Wandel in der Gesellschaft bereits vergleichsweise breit verankert ist, tun sich Führungskräfte und Mitarbeiter etablierte Unternehmen damit offensichtlich häufig immer noch schwer. Die Nutzung von Big Data und KI und den damit verbundenen digitalen Wandel sehen sie teilweise als massive Bedrohung ihrer oft mühsam erarbeiteten Rolle und Bedeutung im Unternehmen, wobei drei Aspekte der Angst im Vordergrund stehen:

  1. Entwertung des persönlichen Erfolgs: Viele Führungskräfte und Spezialisten sehen die etablierten – und ja erfolgreichen – Produkte, Prozesse und Vorgehensweisen der Vergangenheit als mitursächlich für ihren persönlichen Erfolg und mögliche Veränderungen als Versuch, diesen zu entwerten, sowie als Verrat an den eigenen Werten.
  2. Verlust von „Herrschaftswissen“: Grundlage der Nutzung von Big Data und Analytics im Unternehmen ist die Zusammenführung aller verfügbaren Daten in einem für alle Beteiligten zugänglichen Data Lake oder Digital Twin. Doch genau diese Offenlegung wird als Gefahr gesehen. „Nur meine Abteilung und ich ermitteln die genauen Vertriebszahlen. Wer wissen möchte, wie viele welcher Produkte in welchen Märkten verkauft wurden, muss zu mir kommen, und mich darum bitten. Einen Teufel werde ich tun und diese Daten jetzt einfach so für alle bereitstellen. Da würden ja auch unsere Fehler sofort für alle transparent.“
  3. Wegrationalisierung des eigenen Arbeitsplatzes: So wie in der Fertigung durch Automatisierung werden durch den Einsatz von Big Data und Analytics auch in anderen Bereichen Arbeitsplätze überflüssig – hier allerdings die von Spezialisten und Führungskräften. Die Abschätzung und Prognose etwa von Vertriebs- oder Nutzungsdaten oblag in den Unternehmen lange Zeit hochspezialisierten und hochangesehenen Abteilungen, deren Expertise nun in immer stärkerem Maße durch leistungsfähige Analytics-Tool ersetzt werden kann – die die erforderlichen Prognosen zudem auf Knopfdruck, jederzeit und nachvollziehbar generieren.

Was tun?

Soll die digitale Transformation nachhaltig erfolgreich sein, darf sie deshalb nie auf die Einführung neuere IT-Technologien beschränkt bleiben, sondern muss im Sinne eines von der Unternehmensführung vorgegebenen und vorgelebten Change-Programms auch die erforderliche Veränderung der internen Prozesse sowie der Unternehmenskultur vorantreiben. Dazu gehört, Verständnis und Perspektiven zu schaffen, und durch Qualifizierung die persönliche Veränderung jedes Betroffenen individuell zu unterstützen. Dazu gehört aber auch, konsequent mit denjenigen Führungskräften umzugehen, die sich dem Wandel aus persönlichen Gründen verschließen und damit letztlich auch die für den Wandel und den langfristigen Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erforderlichen Entscheidungen nicht treffen.

Umzingelt von Idioten – oder lässt sich der Mobilitätswandel nicht doch etwas differenzierter betrachten?

Mobilität bewegt auch die Emotionen 

Ein Blick auf die Kommentare zu entsprechenden Posts hier in LinkedIn oder anderswo belegt: Der Mobillitätswandel betrifft jeden einzelnen sehr direkt – und ist dementsprechend emotional belegt. Vergleichbar zu Themen wie Kernenergie oder Migration gilt: Wer eine andere Meinung vertritt als ich selbst, und diese Meinung – egal ob tatsächlich oder nur angenommen – meine eigenen Lebensumstände bedroht, greift mich persönlich an, und ich schieße dementsprechend schnell und scharf zurück. Eine sachliche Auseinandersetzung bleibt da oft auf der Strecke.

Dabei ist es offensichtlich, dass es die für alle richtige Lösung nicht gibt, ja nicht geben kann. Es hat bezüglich der Mobilität nicht nur jeder seine eigenen individuellen Vorlieben und Prioritäten, es muss auch jeder mit seinem eigenen Rahmen aus individuellen und generellen Sachzwängen zurechtkommen – sei es die persönliche Lebenssituation inklusive der verfügbaren finanziellen Mittel, die lokale Verfügbarkeit bestimmter Mobilitätsangebote samt erforderlicher Infrastruktur oder die jeweils geltende Gesetzeslage.

Wer also den Familienvater, der auf dem täglichen Weg von seinem Haus mit Garage in einer beschaulichen Gemeinde im Landkreis an seinen Arbeitsplatz im nahegelegenen Gewerbepark noch nie im Stau stehen geschweige denn sich Gedanken um einen Parkplatz machen musste, auffordert, sich doch endlich über den Verzicht auf seinen Pkw Gedanken zu machen, wird dabei durchaus begründet auf wenig Verständnis stoßen. Wer umgekehrt im Stadtzentrum wohnt, wo die monatliche Stellplatzmiete in einer Tiefgarage in der Größenordnung der Leasingrate eines Mittelklassewagens liegt, und von seiner Wohnung aus in weniger als einer Viertelstunde mit der U-Bahn ins Büro kommt, ist vermutlich gottfroh, kein eigenes Auto mehr zu besitzen und bei Bedarf Alternativen wie Car Sharing oder Ride Hailing nutzen zu können.

Wandel, ja natürlich. Aber wovon wohin? 

Unbestritten ist: Mit dem eigenen Auto zu fahren galt jahrzehntelang in der Mobilität als Standard, und dementsprechend wurden auch alle anderen Arten der Fortbewegung als Mobilitätsalternativen bezeichnet – völlig ungeachtet der Tatsache, dass diese Alternativen zum Teil schon deutlich länger verfügbar sind und speziell in den Metropolen auch von weit mehr Menschen genutzt werden als eigene Pkw. Fakt ist aber auch: Die aus diesem Standard in den Städten entstandene Verkehrssituation wird von den dort lebenden Menschen – und zwar sowohl von Autofahrern als auch von anderen Verkehrsteilnehmern – tagtäglich und zunehmend als massives, multidimensionales Problem wahrgenommen: Auf der einen Seite durch Verkehrsstaus und Parkplatzknappheit, auf der anderen Seite durch Verschlechterung der Luftqualität, zunehmende Emission von Treibhausgasen und Lärm, Verschlechterung der Verkehrssicherheit und Belegung des knapper werdenden öffentlichen Raums durch fließenden und ruhenden Verkehr. Dass immer mehr Menschen in die Ballungszentren ziehen und dort mit einem eigenen Auto mobil sein wollen, verschärft die Situation dabei unaufhörlich weiter.

Darüber, dass sich an der Verkehrssituation etwas ändern muss, sind sich alle davon Betroffenen einig; darüber aber, wie sich die Probleme tatsächlich lösen ließen und ein entsprechender Wandel konkret aussehen sollte, gehen die Meinungen deutlich auseinander: Wer weiterhin Auto fahren möchte, hofft auf mehr Straßen und Parkmöglichkeiten, sei es durch Erweiterung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur oder indem möglichst viele andere auf Mobilitätsalternativen umsteigen. Wem die Emissionsreduzierung am Herzen liegt, der wünscht sich die durchgängige Ablösung von Verbrennungsmotoren durch elektrische Antriebe. Und wer in seiner Umgebung wieder mehr Grünflächen und Platz für alternative Mobilität haben möchte, dem schweben vielleicht Innenstädte ganz ohne private Pkw vor.

Extrempositionen der individuellen Mobilität 

Am Ende ist die reale Mobilitätssituation immer das Ergebnis der Summe der individuellen Entscheidungen, die innerhalb eines Rahmens aus persönlichen Möglichkeiten und Präferenzen, marktseitigen Angeboten, verfügbarer Infrastruktur sowie last but not least regulatorisch/politischen Bedingungen getroffen werden. Der Einzelne entscheidet dabei nicht nur über seinen persönlichen Mobilitätsmodus, er regelt vielmehr über die Nachfrage auch das Angebot an Mobilitätsprodukten und -diensten und beeinflusst durch Wahl einer Partei oder eines Abgeordneten auch die Förderung oder Ablehnung unterschiedlicher Lösungen durch regulatorische Vorgaben. Der Mobilitätswandel wird somit – zumindest in demokratischen Verhältnissen – direkt wie indirekt durch den Mehrheitswillen getragen. und ist deshalb für den Einzelnen oftmals nur schwer zu verstehen und zu ertragen.

In dieser Situation haben heute auf der einen Seite viele Menschen den Eindruck, dass sich Politik und Gesellschaft in immer mehr Dinge einmischen, die früher noch als reine Privatsache waren. Natürlich darf jeder rauchen – aber schon lange nicht mehr überall. Natürlich darf jeder anziehen, was er will – wird aber auch damit konfrontiert, unter welchen Bedingungen seine Kleidungsstücke am anderen Ende der Welt hergestellt wurden. Es darf auch grundsätzlich jeder essen, was er will – muss sich aber Fragen zu Fair Trade, Umweltschutz und Tierwohl gefallen lassen. Das gleiche Gefühl entsteht nun auch in puncto Mobilität: Darf ich denn jetzt nicht mal mehr Auto fahren?

Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit anderen persönlichen Werten und Prioritäten, die beispielsweise ökologischer und sozial nachhaltigem Leben und Handeln einen hohen Stellenwert einräumen, wunderbar ohne eigenes Auto zurechtkommen und sich aber durch das Mobilitätsverhalten anderer in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen. Von einem solchen Standpunkt her ist es dann häufig unverständlich, warum jemand um alles in der Welt an seinem eigenen Auto festhalten möchte.

Wie kommt man hier nun als Bürger mit Mobilitätsbedarf, als Mobilitätsanbieter oder auch als Politiker trotz aller Meinungsunterschiede zu vernünftigen und mehrheitsfähigen Lösungen? Unabdingbare Voraussetzung dafür ist die grundsätzliche Annahme, dass Menschen mit einer anderen Meinung als der eigenen diese nicht grundsätzlich aus Dummheit oder Bösartigkeit vertreten, und die darauf aufbauende Bereitschaft, sich in einer Betrachtung des Gesamtsystems sachlich und differenziert auch mit konträren Standpunkte auseinanderzusetzen. Dabei hilft ein Blick auf die Motive, aus denen Extrempositionen vertreten werden. In diesem Sinne sind in den Abbildungen 1 und 2 unterschiedliche Gründe aufgeführt, aus denen die Positionen „Ich fahre mit meinem eigenen Auto und will das auch weiter tun!“ und „Ich besitze kein eigenes Auto und will auch keines!“ eingenommen werden – jeweils absteigend nach Alternativlosigkeit geordnet.

Neben dem Verständnis für die Argumentation der „Gegenseite“ birgt diese analytische Betrachtung noch einen weiteren Vorteil: Sie fördert auch die Defizite der eigenen Argumentation bzw. des eigenen Angebots zu Tage: Wer Pkw verkaufen möchte tut gut daran zu verstehen, warum manche Menschen dieses Angebot nicht oder nicht mehr anspricht, und mit welchen Fahrzeugen oder Diensten Kunden gehalten oder zurückgewonnen werden könnten. Wer dagegen Alternativen zum eigenen Pkw anbietet sollte umgekehrt ganz genau darauf schauen, was denn Menschen dazu treibt, trotz allem weiterhin mit dem eigenen Auto fahren zu wollen.

Machen wir uns keine Illusion: Am Ende wird auch diese Vorgehensweise nicht zu einem Ergebnis führen, mit dem alle glücklich sind. Aber sie macht die Debatten um den Mobilitätswandel spürbar konstruktiver und führt diesen somit klar in Richtung eines Gesamtoptimums.