50 Jahre Olympisches Dorf München: Ein zukunftsweisendes Urbanes Mobilitätskonzept, das seiner Zeit weit voraus war.

In München geboren und aufgewachsen habe ich auch fast fünf Jahre im Olympischen Dorf gelebt. Jahrzehnte nachdem es als Unterkunft für die Teilnehmer der Olympischen Spiele 1972 gebaut wurde, habe ich es dabei Tag für Tag als ungemein sympathische und moderne urbane Siedlung erlebt. Im Gegensatz zu vielen anderen Wohnanlagen, die für olympische Spiele gebaut wurden, ist es nicht im Laufe der Jahre zu einem trostlosen Betonvorort verkommen. Auch heute schlendere ich gerne bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch die verwinkelten grünen Wege und die Umgebung.

Das zugrunde liegende architektonische Konzept, bereits das Ende der sechziger Jahre von den Architekten Behnisch und Partner (wie auch der Olympiapark) entwickelt wurde, war bahnbrechend, zukunftsorientiert und meines Erachtens seiner Zeit weit voraus.

Im Hinblick auf die urbane Mobilität halte ich hier vier Aspekte für bemerkenswert: 

 

1. Getrennte Ebenen

Wenn man sich dem Dorf – wie es von seinen Bewohnern genannt wird – von der Lerchenauer Straße aus nähert, sieht man deutlich, wie der Autoverkehr von anderen Verkehrsteilnehmern getrennt wird: Fußgänger und Radfahrer nutzen breite Rampen, um die oben liegende Gehebene zu erreichen, während Autos, Lastwagen und Motorräder die tiefer gelegene Zufahrt zur unteren Fahrebene nutzen, und so zu den Gebäuden, zum Parken, zur Anlieferung oder zur Müllabfuhr gelangen. Diese klare Trennung macht den Verkehr für alle Verkehrsteilnehmer nicht nur bequem sondern vor allem auch sicher.

Aus den Gebäuden und von der Gehebene führen Aufzüge und Treppen auf die untere Ebene und ermöglichen somit einen bequemen und überdachten Zugang von den geparkten Fahrzeugen zu den Häusern und Wohnungen. Der Hausmüll kann über Müllschlucker in jedem Stockwerk der Wohnhäuser entsorgt werden und wird auf Straßenebene gesammelt, also weit weg von den Flächen, wo Menschen wohnen oder vorbeigehen.

Getrennte Ebenen für Fuß- und Autoverkehr

 

2. Alles in Reichweite

Die wichtigsten Geschäfte, Schulen, medizinische Einrichtungen, Restaurants und öffentliche Begegnungsstätten sowie eine Kirche sind innerhalb des Dorfes schnell fußläufig zu erreichen; auch der Olympiapark mit seinen Sehenswürdigkeiten und Sportstätten liegt in direkter Nachbarschaft und dient als erweitertes Naherholungsgebiet – ob zum Spazierengehen, Laufen, Radfahren oder Besuch von Veranstaltungen. All das reduziert die primären Mobilitätsbedarfe der Bewohner ganz erheblich.

Gleichzeitig ist das Dorf durch den direkten Zugang zur U-Bahn und zu den örtlichen Bussen bequem mit dem Rest von München und der Welt verbunden.

Während wir also heute über die Vision der 15-Minutes-City diskutieren, war das Olympische Dorf bereits vor 50 Jahren eine 5-Minuten-Stadt. 

Zusammenleben: Restaurant und Gemeinschaftsgebäude im Herzen des Dorfs

3. Barrierefreiheit

Vor 50 Jahren war Barrierefreiheit noch die Ausnahme. Das Dorf mit seinen breiten Rampen, Handläufen und Aufzügen wurde jedoch von Grund auf so konzipiert, dass alles ohne Stufen zugänglich ist. Diese besondere Zugänglichkeit hat es schon immer für Rollstuhlfahrer und Senioren besonders attraktiv gemacht und ist gleichzeitig eben auch für Radfahrer, Kinderwagen oder Fußgänger äußerst bequem. 

Zugangsrampen auf der Gehebene der Strassberger Strasse

4. Liebens- und lebenswertes Wohnen 

Neben all diesen sachlichen Kriterien war einer der Kernpunkte des frühen architektonischen Konzepts, dass das Dorf nicht ein weiterer deprimierender Wohnblock aus Beton werden sollte, sondern ein Ort, an dem Menschen auf Dauer gerne leben würden. Wie gut und nachhaltig das gelungen ist, kann man bis heute sehen und spüren. Die überall vorhandenen Pflanzen und Bäume machen es zu einer grünen Oase. Über das ganze Dorf verteilte Plätze, an denen man sich gerne trifft, die vielen Kunstwerke, die Cafes und Gemeinschaftseinrichtungen bringen die Menschen zusammen und schaffen eine wirklich lebens- und liebenswerte Nachbarschaft. 

Die Radfahrer wurden ja bereits erwähnt: Was ich absolut bemerkenswert finde, ist die harmonische Art, in der sich Fußgänger und Radfahrer im Dorf schon immer den Weg geteilt haben. Ohne große formale Wegeführung oder Vorschriften gab es nie große Probleme, wenn Fußgänger und Radfahrer den Platz auf der oberen Ebene gemeinsam nutzten. Vielmehr gibt es so etwas wie einen informellen Verhaltenskodex, der auf gegenseitiger Rücksichtnahme beruht und dafür sorgt, dass alle Verkehrsteilnehmer gut miteinander auskommen.

Viel Grün und Kunst in der Nadistrasse

Schattenseite

Gibt es auch einen Nachteil? Ja – aber erst auf den zweiten Blick. In einer Siedlung dieser Größe, in der Tausende von Menschen zusammenleben, braucht es klare Regeln und Verantwortlichkeiten. Die 1972 geschlossenen Verträge für die Nutzung des Olympischen Dorfes nach den Spielen aber waren mit juristischen Mängeln gespickt, weshalb dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen jahrzehntelang auf Eis lagen bis endlich die Gerichte entschieden hatten, wer dafür aufkommen muss. Als z.B. die Betonstruktur unter der Gehebene erneuert werden musste, dauerte es etwa 15 Jahre, bis entschieden wurde, welcher Teil davon zum oberen Gehweg (und damit zu den privaten Gebäuden rechts und links davon) und welcher zu den öffentlichen Straßen (im Besitz der Stadt) gehört, die sie überdeckt. 

Last not least: Man kann den 50. Jahrestag des Olympischen Dorfes nicht feiern ohne dabei auch des schrecklichen Terroranschlags zu gedenken, der dort während der Spiele verübt wurde. Die Lehren, die daraus auch weiterhin zu ziehen sind, gehen weit über die Mobilität hinaus. 

Bewegende Zeiten – Mobilität der Zukunft

Räumliche Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis, hierin sind sich alle einig. Wie sie aber in Zukunft konkret aussehen wird, dazu unterscheiden sich die Vorstellungen allerdings deutlich. Technische Entwicklungen wie Elektroantriebe oder autonome Fahrzeuge, digitale Dienste wie online buchbare Fahrzeugfunktionen oder Ride Hailing, Regulatorische Vorgaben für Fahrzeugemissionen, Zulassung von Mobilitätsdiensten oder die Zufahrt in Stadtzentren sowie nicht zuletzt unterschiedliche gesellschaftliche Trends wie Nachhaltigkeit, Urban Living oder auch Digital Culture beeinflussen sich gegenseitig und machen die Frage nach der Mobilität der Zukunft extrem komplex. Wer sie für sich beantworten will tut gut daran, vor der Betrachtung des großen Ganzen den Elefanten in Scheiben zu schneiden und sich mit genau diesen Einflussgrößen einzeln auseinandersetzen.

Zu diesem Zweck habe ich mein neues Buch „Bewegende Zeiten – Zukunft der Mobilität“ verfasst, das ab sofort erhältlich ist. Seit über zehn Jahren tausche ich mich ich intensiv mit internationalen Stakeholdern der Mobilität aus: Fahrzeugnutzer, etablierte Hersteller und Start Ups, Lieferanten, Mobilitätsdienste, Energieversorger, aber auch Journalisten, Investoren, NGOs oder Vertreter von Kommunen und Ländern. Durch diesen so konstruktiven wie kontroversen Dialog konnte ich mir von der Mobilität der Zukunft ein in Summe doch ziemlich vollständiges und stimmiges Bild machen.

Mit meinem Buch möchte ich diese Erfahrung teilen. Die Bestandteile, Mechanismen und Rahmenbedingungen der Mobilität werden allgemeinverständlich und anhand von Beispielen aus der Praxis erklärt und diskutiert – nicht um ein fertiges Meinungsbild zu vermitteln, sondern um jede Leserin und jeden Leser zu befähigen, darauf aufbauend ein individuelles Zukunftsbild und somit eine robuste Strategie zu entwickeln.

Wer die Mobilität der Zukunft verstehen will, muss wissen, wovon sie abhängt. Das sind meiner Erfahrung nach:

  • Technische Trends – wie elektrische Antriebe, autonomes Fahren oder alternative Fahrzeugkonzepte
  • Digitalisierung – wie Function on demand oder Mobility on demand
  • Regulatorik – wie Emissionsgesetze oder Zulassungsbedingungen für neue Fahrzeugkonzepte und Mobilitätsdienste
  • Gesellschaftliche Trends – wie Nachhaltigkeit oder Digital Culture

Mobilitätssysteme

Warum fahren wohl in Innsbruck weniger Menschen mit dem Fahrrad in die Arbeit als in Amsterdam. Warum ist man in Los Angeles ohne Auto verloren, während man es in London eher mit Auto ist? Und warum ist Moskau kein Paradies für Motorroller so wie Barcelona? Wer belastbare Prognosen zur Zukunft der Mobilität machen will, muss die Akzeptanzkriterien für Mobilitätsangebote kennen und wissen, wie sich die Mobilitätsräume hierin unterscheiden.

Heute bestehende Mobilitätsräume unterscheiden sich in ihrer Größe, Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte, in ihrer Struktur (also ob sie ländlich, kleinstädtisch oder urban geprägt sind, monozentrisch mit dicht bebautem Altstadtkern wie München oder flächig mit vielen Einzelzentren wie das Ruhrgebiet), in ihren topologischen und klimatischen Gegebenheiten, der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur, aber zum Beispiel auch in der Verfügbarkeit finanzieller Mittel und der Aufgeschlossenheit der lokalen Behörden für neue Konzepte und Angebote.

Von all dem hängt ab, welche Mobilitätsangebote in einem bestimmten Mobilitätsraum möglich sind und auch akzeptiert werden. Diese Rahmenbedingungen werden in meinem neuen Buch „Bewegende Zeiten – Mobilität der Zukunft“ eingehend diskutiert, damit sich die Leserin oder der Leser ein robustes Bild davon machen kann, wie sich die Menschen dort in Zukunft fortbewegen werden.

E-Mobilität

BEV, HEV, PHEV, EREV, FCEV – wo liegt denn da jetzt der Unterschied? Werden Lithium-Ionen-Batterien immer besser und billiger – oder irgendwann doch von Wasserstofftanks abgelöst? Macht Vehicle to Grid Öko-Strom profitabel und senkt dabei die Kosten der Fahrzeugnutzung? Wer E-Mobilität als Megatrend belastbar bewerten möchte, muss sich mit ihren Komponenten und ihrer Anwendung auseinandersetzen, aber auch ihre Wechselwirkung mit Mobilitätsdiensten oder der Energiewirtschaft verstehen.

Der Blick auf die Zulassungszahlen zeigt, wie nachhaltig die Weichen in Richtung E-Mobilität gestellt sind, der Blick in die Medien, welch tiefgreifender Wandel daraus für das gesamte automobile Ökosystem resultiert: In die Reihen der Fahrzeughersteller und Lieferanten drängen sich unaufhaltsam neue Player, neue Komponenten wie speziell Antriebs-Batterien bieten immense technische und wirtschaftliche Chancen und Risiken, die erforderliche Ladeinfrastruktur erzwingt neue Kooperationen zwischen Automobilherstellern, Energieversorgern und Kommunen.

Wer den Megatrend E-Mobilität für sich seriös bewerten und etwa verstehen möchte, ob PHEV wirklich nur eine Zwischenlösung sind, ob Wasserstoff als Energieträger für Pkw eine Zukunft hat, oder ob in Technologien wie Vehicle to Grid und Battery 2nd Life ökonomisches und ökologisches Potenzial steckt, muss sich mit allen seinen Aspekten auseinandersetzen. Die objektive und solide Basis dafür finden Sie im Kapitel „Elektromobilität“.

Autonomes Fahren

Ein Auto, das von alleine fährt? Klingt super, aber mal Hand aufs Herz: Mit welchem Gefühl würden sie ihr Kind morgens in einen fahrerlosen Schulbus steigen lassen? Und: Würden sie sich selbst ein Fahrzeug ohne Lenkrad kaufen? Auch wenn die nötige Technik verfügbar ist, bleiben hinsichtlich der Zukunft autonomer Fahrzeuge nicht nur bei den Nutzern, sondern auch bei Herstellern, Gesetzgebern und Kommunen wichtige Fragen offen, für deren Beantwortung ein Gesamtverständnis erforderlich ist.

Die Vorstellung, von einem fahrerlosen Auto ans Ziel gebracht zu werden, ist sicher faszinierend. Die Technik dazu schreitet bei den Herstellern stufenweise voran, TESLA etwa bietet gerade eine „Full Self-Driving Option“ als Beta Test an. Bis man sich aber wirklich entspannt auf die Rückbank seines Fahrzeugs legt, während es von alleine weiterfährt, wird es aber wohl doch noch dauern.

Gleichzeitig entpuppen sich allerdings viele der als Vorteile des autonomen Fahrens aufgeführten Optionen – wie während der Fahrt schlafen oder arbeiten, sein Fahrzeug alleine ins Parkhaus fahren lassen oder auch dann Auto-mobil sein zu können, wenn man selbst keines fahren darf oder möchte – bei näherem Hinsehen als reine Vorteile des gefahren Werdens gegenüber dem selber Fahren und sind völlig unabhängig davon, ob nun ein Automat oder ein Mensch fährt.

Ob und für wen autonome Fahrzeuge wirklich Vorteile bringen wird im Kapitel „Technologische Trends: Autonomes Fahren“ ausführlich diskutiert.

Digitalisierung

Natürlich: Das mit der Digitalisierung in der Mobilität haben wir alle längst verstanden: Unsere Fahrzeuge sind connected. Wir sind, kaufen und buchen permanent online. Wir arbeiten agil und haben Krawatte und Budapester gegen Vollbart und Sneakers eingetauscht. Aber haben wir auch den damit verbundenen kulturellen Wandel im Blick, der sich sowohl bei den Kunden als auch bei den Mitarbeitern vollzieht, die wir in Zukunft auf den sich jeweils massiv verändernden Märkten gewinnen wollen?

Beim Thema digitaler Wandel und Mobilität fällt der erste Blick auf technische Veränderungen. Hier führt die Verfügbarkeit von Smartphones zusammen mit der Vernetzung von Autos im IoT und der Anwendung von KI zu völlig neuartigen Fahrzeugfunktionen und Serviceangeboten und verbessert gleichzeitig die dahinter liegenden Geschäftsprozesse radikal und nachhaltig.

Für noch bedeutender als diesen technischen Wandel halte ich allerdings den damit einhergehenden sozio-kulturellen. Persönliche Werte, Verhalten und Arbeitsweisen verändern sich längst nicht nur bei den Millenials, sondern quer durch alle Altersgruppen und die Gesellschaft – und damit eben zum einen bei den Kunden, auf deren Erwartungen ein Unternehmen sein Angebot ausrichtet, aber auch bei den qualifizierten Mitarbeitern, um die es sich heute auf einem sehr engen Bewerbermarkt bemühen muss.

Eine umfassende Analyse der Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Mobilität gebe ich im Kapitel „Digitalisierung“.

Mobilitätsdienstleistungen

Wie wird man ohne auch nur ein einziges Fahrzeug zu besitzen mit zwei Apps in wenigen Jahren zu einem der weltweit führenden Mobilitätsdienstleister? Das Beispiel Uber zeigt die Power und den Speed digitaler Geschäftsmodelle, aber auch die Hürden bei der Umsetzung. Denn: Mobility as a Service Angebote müssen drei Parteien gleichzeitig Mehrwert bringen: Den Nutzern, den Betreibern und den gesetzgebenden Kommunen bzw. Ländern. Nur dann können sie langfristig erfolgreich sein.

Um ohne eigenes Auto voranzukommen waren Taxis oder öffentliche Busse und Bahnen lange Zeit faktisch alternativlos. Diese aus deren Sicht höchst komfortable Situation wirbeln nun seit einigen Jahren neue Player kräftig durcheinander: Neben Car Sharing, der flexibleren Variante des Mietwagens, stehen nun mit Ride Hailing, Car Pooling oder Ride Sharing eine ganze Palette neuer Angebote zum Mitfahren zur Verfügung. Und das längst nicht nur mit Pkw, auch E-Scooter-Sharing, Motorrad-Taxis, Fahrrad-Rikschas oder Seilbahnen zählen dazu.

Doch die neuen Angebote werfen viele Fragen auf: Wann sind Menschen dazu bereit, auf ein eigenes Auto zu verzichten? Welche Fahrzeuge und Ausstattungen eignen sich dafür am besten? Wie können sich private und öffentliche Anbieter zum Vorteil der Kunden aber auch zum eigenen Vorteil sinnvoll ergänzen statt sich zu “bekriegen“? Und: Wie können Kommunen und Gesetzgeber das fördern? Antworten gibt es im Kapitel „Mobilität als Dienstleistung“.

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