Geschäftspotenziale im, durch das und mit dem Metaverse

Seit Mark Zuckerbergs Ankündigung im Sommer 2021, dass sich sein Meta-gewordenes Facebook nun voll auf den Auf- und Ausbau des Metaverse konzentrieren werde, sind verteilte digitale Welten zum absoluten Megatrend geworden, und eine Studie nach der anderen verspricht enorme Chancen, die sich aus der Schaffung und Nutzung solcher digitalen Welten ergeben. Verteilte virtuelle Welten und die damit verbundenen Business-Versprechen sind jedoch alles andere als neu, und – wie so oft – lohnt es sich, einen Blick zurückzuwerfen und zu sehen, was aus der Vergangenheit bereits an Erfahrungen vorliegt, um kritisch beurteilen zu können, was die Zukunft wirklich bringen könnte. 

30 Jahre Hype, Desillusionierung und viel Erfahrung

Der Geist war willig, aber die Hardware war schwach

Es war sicher richtungsweisend, dass der erste, der die Idee einer gemeinsamen digitalen Welt erwähnte und beschrieb, kein Wissenschaftler war: Der Science-Fiction-Autor William Gibson schrieb 1984 in seinem Buch Newromancer über einen Cyberspace, den Menschen über verschiedene Hardwareschnittstellen betreten können um dort miteinander zu kooperieren und zu interagieren. Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen waren von dieser Idee fasziniert. In den folgenden Jahren wurde Virtual Reality (so der neue terminus technicus) zu einem regelrechten Hype, und ich wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Karlsruhe, wo ich meine Doktorarbeit eben über den Einsatz von Virtual Reality zur Bewertung von 3D-Produktmodellen schrieb. Ein unglaublich cooles Thema für einen Maschinenbauingenieur, der an einem Werkzeugmaschineninstitut arbeitet. 

Leistungsstarke Grafikcomputer wie die Dream Machine von Silicon Graphics, Inc. waren mit den damals verfügbaren Forschungsgeldern kaum bezahlbar. Folglich wurden die virtuellen Produktionsszenarien, die zur Planung und Simulation von realen Montagelinien erstellt wurden, meist durch einfache Boxen dargestellt. Die Welt bestand aus Quadern. Weitere VR-Ausrüstung wie HMDs (Head Mounted Devices) oder Datenhandschuhe, die zum Eintauchen in die virtuelle Welt notwendig sind, waren schwere und klobige Prototypen. Wenn man in seiner virtuellen Welt auf die Boxen schaute und den Kopf drehte, dauerte es eine Weile, bis die Projektion auf den im HMD integrierten Monitoren folgte, was nach ein paar Minuten fast zwangsläufig zu Übelkeit führte. Selbst während einer Reise nach England, wo wir die damals weltweit führenden VR-Forschungseinrichtungen besuchten, starrten wir immer noch auf virtuelle Quader und wurden dabei langsam blass und krank. 

Abbildung 1: Immersion mit Head Mounted Display und Space Mouse 1995 

Auf der anderen Seite bereiteten diese technischen Einschränkungen den Raum für ein fast grenzenloses Vorausdenken. Intensive theoretische Diskussionen über ihr zukünftiges Potenzial machten Virtual Reality zu einem geradezu klassischen „Eines Tages könnten wir …“-Thema quer über alle Branchen und Forschungsgebiete. Theoretisch mögliche Anwendungen virtueller Welten in fast allen Bereichen, von der Architektur über kooperative 3D-Produktentwicklung bis hin zum Cybersex (ein Thema, das damals fast jede Zeitschrift als Titelstory brachte – was es einem manchmal schwer machte, öffentlich darüber zu sprechen, dass man sich mit Virtual Reality befasste), wurden umfassend und in die Tiefe analysiert. Sogar die Gültigkeit im Cyberspace vollzogener spiritueller Handlungen wie etwa Segnungen oder Beichten wurde diskutiert. 

Technologie folgt dem Geld. Aber wo ist das Geld? 

Doch während der seriösen Forschung (oder was man damals eben dafür hielt) das Geld für die entsprechende Hardware fehlte, wuchs die VR-Technologie – zunächst fast unbemerkt – an ganz anderer Stelle: Am letzten Tag der oben erwähnten Englandreise besuchten wir am Trocadero in London ein riesiges Gaming-Center und dessen neue VR-Spielewelt – und hier fühlte ich mich endlich zum ersten Mal wirklich völlig in eine virtuelle Welt eingetaucht. Für Spielekonsolen stand ganz offensichtlich ein Vielfaches mehr an finanziellen Mitteln zur Verfügung als für Forschung und Entwicklung oder Produktion. Mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung schauten wir in den Rechnerraum des Gaming-Centers, der mit den leistungsstärksten SGI-Rechnern und dem besten Equipment gefüllt war, das mir bis dahin untergekommen war. Und: Im Gegensatz zu den meistens einsamen Forschungslaboreb gab es hier lange Schlangen von Menschen, die darauf warteten, fünf Pfund und mehr für ein paar Minuten des Eintauchens in ein virtuelles Schlachtfeld zu bezahlen. Trotzdem galt Gaming Ende der 90er Jahre noch nicht als ernsthaftes Betätigungsfeld für wissenschaftliche Mitarbeiter universitärer Forschungsinstitute. 

Es war auch ein Computerspiel, nämlich das Ego-Shooter-Spiel Doom, bei dem ich zum ersten Mal die Erfahrung machte, in einer gemeinsamen virtuellen Umgebung mit anderen zusammenarbeiten zu können (auch wenn „Zusammenarbeit“ für die Art von Interaktion in Spielen wie Doom ein etwas seltsamer Begriff sein mag). Die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen aus der ganzen Welt in einem virtuellen Raum zu treffen und mit ihnen in Echtzeit zu interagieren, war atemberaubend und qualitativ um Dimensionen besser als in all den VR-Umgebungen, mit denen wir zu arbeiten gewohnt waren. 

Seitdem hat das 3D-Online-Gaming in vielerlei Hinsicht enorme Fortschritte gemacht. Hochentwickelte Grafikprozessoren, vor allem von Invidia oder AMD, und VR-Headsets wie von Oculus ermöglichen heute eine äußerst realistische Visualisierung von und Interaktion mit allen Arten von Elementen virtueller Welten. Durch das Spielen von Online-Spielen wie Fortnite oder Minecraft ist vor allem die Generation Z von klein auf aran gewöhnt, völlig selbstverständlich in virtuellen Welten zu agieren und mit ihnen zu interagieren. Gaming ist dabei nicht nur ein weit verbreitetes Hobby, sondern – da immer mehr Menschen auch anderen Menschen beim Spielen zuschauen wollen – für einige ein durchaus lukrativer Beruf geworden. Ninja, damals 20 Jahre alt, soll der erste gewesen sein, der mit Fortnite und anderen Spielen 12 Millionen Dollar im Jahr verdient. Mit Blick auf diese neuen Vorbilder begannen Tausende von Kindern weltweit von einer Karriere als professioneller Gamer zu träumen – sehr zum Leidwesen ihrer Eltern aus einer Generation, die keinerlei Verständnis für diese Art von Business hatte und zum Teil heute noch geringschätzend und ignorant von „Videospielen“ spricht. E-Sports – wie Gaming heute auch genannt wird – hat sich zu einem bedeutenden Industriezweig entwickelt und ist nach wie vor die wichtigste Triebkraft für die technologische Entwicklung der virtuellen Realität. 

Welche Hausordnung gilt, wenn das Haus gar nicht echt ist? 

Im Jahr 2003, ein Jahr bevor Mark Zuckerbergs Facebook online ging, machte die Kooperation in geteilten virtuellen Welten einen großen Schritt nach vorn: Das US-Unternehmen Linden Lab startete Second Life, eine kommerzielle multi-user multi-purpose 3D-Umgebung. In Form von Avataren betraten Nutzer aus aller Welt Second Life – zunächst nur zum Spaß, später auch zu Forschungs- und Bildungszwecken oder im Interesse von Marketing und Handel. Schulen und Universitäten hielten dort Unterricht und Vorlesungen, während Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen anboten. Als Zahlungsmittel diente eine erste virtuelle Währung, der Linden Dollar, der in echtes Geld umgetauscht werden konnte. Das erste wirklich breit bevölkerte virtuelle Universum, das soziale Interaktion und eine sehr einfache Form des Handels ermöglichte, war geboren. Kurz gesagt, Second Life war das Internet 2.0 in 3D. 

Abbildung 2: NPR Science Friday in Second Life 2008 (Quelle: Wikipedia)

Doch während man sich bei Linden Lab auf neue Funktionen und steigende Nutzerzahlen konzentrierte, dachte man dort nicht allzu sehr an die damit verbundenen Risiken. So mussten die Nutzer bald erfahren, dass eine mehr oder weniger unregulierte virtuelle Welt auch negative gesellschaftliche Verhaltensmuster wie Hassreden, Ungerechtigkeiten, Urheberrechtsverletzungen, Verbreitung von Lügen oder den Verzicht auf grundsätzlichen Anstand nährte. Es dauerte nicht lange, bis die Bewohner von Second Life, als Digital-Affine typischerweise eher starke Verfechter von Freiheit und Unabhängigkeit, sehnsüchtig nach Regeln und Vorschriften und deren Durchsetzung verlangten. Eine zusätzliche Erfahrung in rechtlichen Dingen war der vollständig fehlende Schutz geistigen Eigentums, mit dem sich Personen und Unternehmen konfrontiert sahen, die in Second Life Dienstleistungen und Produkte anboten.  

Überlagerung von realer und virtueller Welt 

Während Qualität und Bedeutung virtueller Welten im Laufe der Jahre deutlich zugenommen haben, galt der Überlagerung von virtueller und realer Welt nie allzu großes Interesse. Zwar gab es einige industrielle Augmented Reality (AR) Anwendungen, bei denen Wartungs- oder Logistikmitarbeiter zusätzliche Informationen zu den Objekten, mit denen sie arbeiten, in ihre Brille projiziert bekamen, aber selbst die 2014 vorgestellten Google Glasses, die Augmented Reality in die Breite bringen sollten, wurden nur ein Jahr lang verkauft. 

Und wieder war es im Gaming, wo Augmented Reality Anwendungen den Durchbruch schafften: Im Jahr 2016 begannen Millionen von Pokémon-Go-Nutzern durch die Nachbarschaft zu streifen und ihre reale Umgebung durch die Kameras ihrer Smartphones zu betrachten, wodurch sie um virtuelle Gegenstände angereichert wurde, die sie finden mussten. Allerdings war es offensichtlich schwierig, reale und virtuelle Welt gleichzeitig im Auge zu behalten, denn man sah Scharen von Pokémon-Go-Spielern achtlos Straßen überqueren, während sie auf das Display ihres Smartphones schauten. 

Bedeutsamer als der Abgleich virtueller und realer Geometriedaten war jedoch die Erstellung und Nutzung sogenannter Digital Twins, also digitaler Modelle, die vernetzte reale Objekte mehr oder weniger in Echtzeit darstellen. Ermöglicht durch die weltweite Einführung von Cloud Computing wurden riesige Data Lakes mit den Digital Twins von vernetzten Anlagen, Maschinen, Geräten, Autos usw. gefüllt, um die Produktion 4.0 und das Internet der Dinge aufzubauen. Auch wenn der Schwerpunkt der hier verwendeten digitalen Modelle eben bislang weniger auf 3D-Geometrie als auf technologischen Daten liegt, stellen sie kooperativ genutzte virtuelle Welten dar, die es ermöglichen, reale Objekte in Echtzeit in virtuellen Welten darzustellen. 

Immersion – der Heilige Gral der Virtual Reality

Eine – wenn nicht sogar die wichtigste – Frage in der Debatte um die Anwendung von Virtual Reality war immer, ob es wirklich notwendig ist, in eine virtuelle Welt einzutauchen, oder ob nicht auch das Betrachten von dieser auf einem Monitor als „echte VR“ gelten kann. Und auch heute gibt es hierauf noch keine klare Antwort. 

Das Metaverse durch Headsets und andere Hardware so realistisch wie möglich zu erleben, hat gegenüber dem Betrachten des Sichtfelds seines Avatars (point of view) oder des eigenen Avatars in seiner Umgebung auf einem Bildschirm ganz offensichtlich Vorteile, aber eben auch Nachteile. In Spielen wie Fortnite beispielsweise wird die Immersion von Spielern bevorzugt, die es einfach genießen, sich mitten im virtuellen Szenario zu fühlen, während professionelle Spieler es vorziehen, das Schlachtfeld auf großen gekrümmten Bildschirmen zu sehen, wodurch sie einen besseren Überblick haben und schneller reagieren können.  

In unechten Welten echtes Geld ausgeben

Die Online-Bezahlung von Produkten und Dienstleistungen, die in der realen oder virtuellen Welt erbracht werden, ist ganz offensichtlich eine notwendige Voraussetzung für Geschäfte in virtuellen Welten. Sicherlich waren es Jeff Bezos und Amazon, die seit Mitte der neunziger Jahre die Entwicklung von Online-Zahlungstechnologien für den Einkauf im Internet vorangetrieben haben. Doch erst in Second Life konnten die Bewohner virtueller Welten reales Geld in eine virtuelle Währung tauschen, um damit virtuelle Produkte zu kaufen oder virtuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Heute können virtuelle Welten auf eine Vielzahl von Zahlungslösungen zurückgreifen, einschließlich Blockchain-Technologien, um Geldgeschäfte transparent und manipulationsgeschützt zu machen.

Metaverse heute 

Was hat sich nun als über die Jahre verändert, und was können wir aus dieser Vergangenheit lernen? 

Zunächst einmal: Die Idee, in eine geteilte virtuelle Welt einzutauchen, dort in einen neuen Charakter und eine neue Persönlichkeit zu schlüpfen und unabhängig von den Restriktionen der realen Welt – seien sie geografisch, rechtlich, gesellschaftlich oder individuell – frei mit anderen zu interagieren, fasziniert die Menschen nach wie vor, ist technisch möglich, aber ist – wenn auch in Teilen umgesetzt – immer noch eine Vision. 

Zwar gibt es heute – neben kooperativen Spielräumen wie Fortnite, Minecraft oder Metas Horizon Worlds – generische Metaverse-Plattformen (vor allem Decentraland, Sandbox, Cryptovoxels, Substrata oder Somnium Space), auf denen sich Menschen treffen und austauschen, Konzerte besuchen oder an Bildungsveranstaltungen teilnehmen. Sie zahlen viel Geld, um ihre Avatare hübsch anzuziehen oder mit Accessoires auszustatten, Zugang zu beschränkten Bereichen zu erhalten und virtuelles Land oder NFTs zu erwerben. Und nicht zuletzt kaufen sie echte Computer, Headsets und andere Hard- und Software, um sich mit der virtuellen Welt zu verbinden. Doch obwohl sich in den letzten Jahrzehnten all diese Geräte und die dazugehörigen Technologien dramatisch weiterentwickelt haben, umfassende Erfahrungen mit den gesellschaftlichen und rechtlichen Fallstricken gesammelt wurden und die allgemeine Bereitschaft, sich in virtuelle Welten zu begeben, stark zugenommen hat, befinden wir uns immer noch in der kreativen Anfangsphase, in der wir uns erstmal all die wunderbaren Dinge vorstellen, die wir in einem Metaverse irgendwann tun könnten. 

Was aber sind nun diese wunderbaren Dinge? Wo liegen die ungenutzten Möglichkeiten des Metaverse? Ich unterscheide bei den Geschäftsmöglichkeiten des Metaverse gerne drei grundsätzlich unterschiedliche Arten: 

1. Geschäftsmöglichkeiten IM Metaverse: Wertschöpfung in der virtuellen Welt  

a) Erzeugung virtueller Produkte im Metaverse  

Das wahrscheinlich größte Potenzial eines gemeinsam genutzten virtuellen Raums liegt in der Möglichkeit, mühelos Experten aus der ganzen Welt zusammenzubringen, um gemeinsam „Dinge“ wie Gebäude und ganze Städte, Möbel und Inneneinrichtungen, Geräte und Maschinen – um nur einige Optionen zu nennen – zu bauen und zu untersuchen, bevor sie in der realen Welt tatsächlich umgesetzt werden. Stellen Sie sich eine Teams-Sitzung vor, bei der das Whiteboard ein 3D-Raum ist, die Werkzeuge nicht auf Stifte und Radiergummis beschränkt sind, und die Teilnehmer in diesem Raum sind. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist ein digitales Modell (mit geometrischen, technologischen und anderen Daten), das in die reale Welt exportiert werden kann, wo es als Entwicklungsergebnis einen gewissen Wert hat. 

Aus geschäftlicher Sicht ist eine solche Co-Creation im Metaverse vor allem dann sinnvoll, wenn die Erstellung und Bewertung ein hohes Maß an räumlicher Wahrnehmung (wie beispielsweise bei Gebäuden, Städten oder Autos) und die Verfügbarkeit von Experten erfordert, die in der realen Welt weit verteilt sind und deren Fachwissen nicht durch Algorithmen oder KI ersetzt werden kann. 

b) Erbringung von Dienstleistungen im Metaverse 

Während der primäre Wert der im Metaverse geschaffenen „Dinge“ typischerweise in der realen Welt liegt, haben digitale Dienstleistungen, die im Metaverse erbracht werden, auch dort ihren Wert: Kurse und Schulungen oder Unterhaltungsangebote wie Shows, Konzerte oder insbesondere Spiele bieten Erlebnisse, die denen in der realen Welt ähnlich sein (wie bei einem in den virtuellen Raum übertragenen Konzert) aber auch in der realen Welt unmöglich sein können (wie die meisten kooperativen Spiele). 

Hier ergeben sich Geschäftsmöglichkeiten, indem Nutzer dieser Dienste im Metaverse bezahlen. Und wie alle digitalen Artefakte lassen sie sich auch ohne zusätzliche Kosten skalieren: Die Durchführung einer Veranstaltung im Metaverse beispielsweise verursacht den gleichen Aufwand, unabhängig davon ob dort zehn oder zehn Millionen Menschen daran teilnehmen. 

Abbildung 3: Kinobesuch in Decentraland 2022

Die entscheidende Frage dabei ist jedoch: Welchen Mehrwert bietet es dem Kunden, eine Veranstaltung im Metaversum zu besuchen, gegenüber einem Besuch in der realen Welt oder einer passiven Aufzeichnung (Film)? Wenn (und nur wenn) die Interaktion mit Menschen (über ihre Avatare) und Dingen deutlich attraktiver oder billiger oder eben nur in der virtuellen Welt möglich ist, wird es hierfür einen Markt geben. 

2. Geschäftsmöglichkeiten DURCH das Metaverse: Marketing und Verkauf von Produkten und Dienstleistungen der realen Welt in der virtuellen Welt 

Da ein vernetzter 3D-Raum die Visualisierung, Konfiguration und das realistische Erleben eines Produkts und der damit verbundenen Prozesse ermöglicht, kann das Metaverse die perfekte Umgebung für deren Vermarktung sein. 

Die Frage, die es im Vorfeld zu beantworten gilt, lautet jedoch (erneut): Wann hat das Metaverse hier einen echten Kundennutzen – und wann ist eine „normale“ Website für den Kunden gut genug oder vielleicht sogar bequemer, um sich zu informieren, ein Produkt individuell zu konfigurieren oder ein Produkt in seiner vorgesehenen Umgebung zu betrachten. Ist es wirklich notwendig oder lohnenswert, virtuelle Einkaufszentren zu schaffen, in denen die Avatare der Menschen beiläufig vorbeischlendern, um virtuelle Läden zu betreten, dort virtuelle Produkte anzuschauen und von virtuellen Verkäufern (die entweder Avatare von echten Menschen oder Bots sein können) begrüßt zu werden? 

Auch wenn man heute schon in Decentraland Pizza bestellen kann: Wer beispielsweise nach Lebensmitteln oder elektronischen Geräten sucht, vor allem nach Waren, die er schon einmal gekauft hat, für den ist ein einfacher Online-Shop mit bequemen Suchfunktionen sicher die richtige Wahl. Das Betrachten von Kleidung und Accessoires wiederum, die ein Avatar im Metaverse trägt, ermöglicht zwar eine realistische Einschätzung, macht aber im immersiven Modus wenig Sinn (da man ja sehen möchte, wie man aussehen würden, wenn man es tragen würde – und nicht, was man selbst sehen würde, wenn man es trägt …). Immersion macht Sinn, wenn es um räumliche Wahrnehmung geht, wie etwa bei der Auswahl, Konfiguration und dem Erleben einer Wohnung samt Möbeln, Beleuchtung und Dekoration – oder eines Autos – bevor man es kauft oder mietet. 

Abbildung 4: Pizzashop in Samsungs Decentraland Virtual Experience Center 837X 2022 

Und wenn sich ein Metaversum schließlich als vielversprechender Marketing- und Vertriebskanal für Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung erweist, stellt sofort sich eine weitere wichtige Frage: Werden Sie hier zusätzliches Geschäft generieren – oder nur bestehendes Geschäft auf neue Kanäle verlegen?

3. Geschäftsmöglichkeiten MIT dem Metaverse: Herstellung und Verkauf von Hard- und Software für den Zugang zur und die Interaktion mit virtuellen Welten 

a) Hard- und Software für den Zugang zum Metaverse  

Um die virtuelle Welt zu betreten und dort mit Dingen und anderen Menschen zu interagieren, sind Headsets und Controller erforderlich. Deren Qualität, Genauigkeit und Geschwindigkeit hat sich im Laufe der Jahre dramatisch verbessert und erlaubt heute ein sehr realitätsnahes visuelles Erlebnis.

Nicht zuletzt liegt ein hohes Geschäftspotenzial in der Generierung von virtuellen Räumen und deren Bereitstellung in der Cloud, einschließlich einer Vielzahl von Dienstleistungen im Bereich Governance und Wartung. Je mehr virtuelle Welten existieren und bevölkert werden, desto größer wird die Nachfrage nach Dienstleistern sein, die ein technisch und sozial reibungsloses virtuelles Leben gewährleisten. 

Abbildung 5: Oculus Quest 2 Headset und Controller (Quelle Meta)

b) Virtuelle Gegenstände für das Metaverse  

Eine in kooperativen Spielen bereits verbreitete Geschäftsform ist die Erstellung und der Verkauf von (digitalen) Produkten, die für die NutzerInnen nützlich oder begehrenswert sind: Spezielle Skins, Kleidung oder Ausrüstungsgegenstände für Avatare oder vorgefertigte Komponenten für Produkte, wie oben erwähnt, können nur in der virtuellen Welt genutzt und nicht in die reale Welt zurück übertragen werden. Genau wie bei digitalen Dienstleistungen können diese digitalen Produkte beliebig oft kopiert werden. 

Abbildung 6: Überblick über die Geschäftsmöglichkeiten im Metaverse

Fazit:

Das vielbeschriebene Potenzial für Marketing und Vertrieb von realen Gütern im Metaverse würde ich bestätigen, Visualisierung, Konfiguration und Test machen hier aber nur bei Produkten und Dienstleistungen Sinn, bei denen die verbesserte räumliche Wahrnehmung einen echten Vorteil gegenüber herkömmlichen digitalen Kanälen bietet. Zweitens, und unabhängig davon, was dort tatsächlich passieren wird: Die Bereitstellung, Pflege und Verwaltung von geteilten virtuellen Umgebungen bieten in diesem Zusammenhang sicherlich die stabilsten und zuverlässigsten Möglichkeiten Geschäft zu machen.  

50 Jahre Olympisches Dorf München: Ein zukunftsweisendes Urbanes Mobilitätskonzept, das seiner Zeit weit voraus war.

In München geboren und aufgewachsen habe ich auch fast fünf Jahre im Olympischen Dorf gelebt. Jahrzehnte nachdem es als Unterkunft für die Teilnehmer der Olympischen Spiele 1972 gebaut wurde, habe ich es dabei Tag für Tag als ungemein sympathische und moderne urbane Siedlung erlebt. Im Gegensatz zu vielen anderen Wohnanlagen, die für olympische Spiele gebaut wurden, ist es nicht im Laufe der Jahre zu einem trostlosen Betonvorort verkommen. Auch heute schlendere ich gerne bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch die verwinkelten grünen Wege und die Umgebung.

Das zugrunde liegende architektonische Konzept, bereits das Ende der sechziger Jahre von den Architekten Behnisch und Partner (wie auch der Olympiapark) entwickelt wurde, war bahnbrechend, zukunftsorientiert und meines Erachtens seiner Zeit weit voraus.

Im Hinblick auf die urbane Mobilität halte ich hier vier Aspekte für bemerkenswert: 

 

1. Getrennte Ebenen

Wenn man sich dem Dorf – wie es von seinen Bewohnern genannt wird – von der Lerchenauer Straße aus nähert, sieht man deutlich, wie der Autoverkehr von anderen Verkehrsteilnehmern getrennt wird: Fußgänger und Radfahrer nutzen breite Rampen, um die oben liegende Gehebene zu erreichen, während Autos, Lastwagen und Motorräder die tiefer gelegene Zufahrt zur unteren Fahrebene nutzen, und so zu den Gebäuden, zum Parken, zur Anlieferung oder zur Müllabfuhr gelangen. Diese klare Trennung macht den Verkehr für alle Verkehrsteilnehmer nicht nur bequem sondern vor allem auch sicher.

Aus den Gebäuden und von der Gehebene führen Aufzüge und Treppen auf die untere Ebene und ermöglichen somit einen bequemen und überdachten Zugang von den geparkten Fahrzeugen zu den Häusern und Wohnungen. Der Hausmüll kann über Müllschlucker in jedem Stockwerk der Wohnhäuser entsorgt werden und wird auf Straßenebene gesammelt, also weit weg von den Flächen, wo Menschen wohnen oder vorbeigehen.

Getrennte Ebenen für Fuß- und Autoverkehr

 

2. Alles in Reichweite

Die wichtigsten Geschäfte, Schulen, medizinische Einrichtungen, Restaurants und öffentliche Begegnungsstätten sowie eine Kirche sind innerhalb des Dorfes schnell fußläufig zu erreichen; auch der Olympiapark mit seinen Sehenswürdigkeiten und Sportstätten liegt in direkter Nachbarschaft und dient als erweitertes Naherholungsgebiet – ob zum Spazierengehen, Laufen, Radfahren oder Besuch von Veranstaltungen. All das reduziert die primären Mobilitätsbedarfe der Bewohner ganz erheblich.

Gleichzeitig ist das Dorf durch den direkten Zugang zur U-Bahn und zu den örtlichen Bussen bequem mit dem Rest von München und der Welt verbunden.

Während wir also heute über die Vision der 15-Minutes-City diskutieren, war das Olympische Dorf bereits vor 50 Jahren eine 5-Minuten-Stadt. 

Zusammenleben: Restaurant und Gemeinschaftsgebäude im Herzen des Dorfs

3. Barrierefreiheit

Vor 50 Jahren war Barrierefreiheit noch die Ausnahme. Das Dorf mit seinen breiten Rampen, Handläufen und Aufzügen wurde jedoch von Grund auf so konzipiert, dass alles ohne Stufen zugänglich ist. Diese besondere Zugänglichkeit hat es schon immer für Rollstuhlfahrer und Senioren besonders attraktiv gemacht und ist gleichzeitig eben auch für Radfahrer, Kinderwagen oder Fußgänger äußerst bequem. 

Zugangsrampen auf der Gehebene der Strassberger Strasse

4. Liebens- und lebenswertes Wohnen 

Neben all diesen sachlichen Kriterien war einer der Kernpunkte des frühen architektonischen Konzepts, dass das Dorf nicht ein weiterer deprimierender Wohnblock aus Beton werden sollte, sondern ein Ort, an dem Menschen auf Dauer gerne leben würden. Wie gut und nachhaltig das gelungen ist, kann man bis heute sehen und spüren. Die überall vorhandenen Pflanzen und Bäume machen es zu einer grünen Oase. Über das ganze Dorf verteilte Plätze, an denen man sich gerne trifft, die vielen Kunstwerke, die Cafes und Gemeinschaftseinrichtungen bringen die Menschen zusammen und schaffen eine wirklich lebens- und liebenswerte Nachbarschaft. 

Die Radfahrer wurden ja bereits erwähnt: Was ich absolut bemerkenswert finde, ist die harmonische Art, in der sich Fußgänger und Radfahrer im Dorf schon immer den Weg geteilt haben. Ohne große formale Wegeführung oder Vorschriften gab es nie große Probleme, wenn Fußgänger und Radfahrer den Platz auf der oberen Ebene gemeinsam nutzten. Vielmehr gibt es so etwas wie einen informellen Verhaltenskodex, der auf gegenseitiger Rücksichtnahme beruht und dafür sorgt, dass alle Verkehrsteilnehmer gut miteinander auskommen.

Viel Grün und Kunst in der Nadistrasse

Schattenseite

Gibt es auch einen Nachteil? Ja – aber erst auf den zweiten Blick. In einer Siedlung dieser Größe, in der Tausende von Menschen zusammenleben, braucht es klare Regeln und Verantwortlichkeiten. Die 1972 geschlossenen Verträge für die Nutzung des Olympischen Dorfes nach den Spielen aber waren mit juristischen Mängeln gespickt, weshalb dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen jahrzehntelang auf Eis lagen bis endlich die Gerichte entschieden hatten, wer dafür aufkommen muss. Als z.B. die Betonstruktur unter der Gehebene erneuert werden musste, dauerte es etwa 15 Jahre, bis entschieden wurde, welcher Teil davon zum oberen Gehweg (und damit zu den privaten Gebäuden rechts und links davon) und welcher zu den öffentlichen Straßen (im Besitz der Stadt) gehört, die sie überdeckt. 

Last not least: Man kann den 50. Jahrestag des Olympischen Dorfes nicht feiern ohne dabei auch des schrecklichen Terroranschlags zu gedenken, der dort während der Spiele verübt wurde. Die Lehren, die daraus auch weiterhin zu ziehen sind, gehen weit über die Mobilität hinaus. 

Du denkst, Du hast den digitalen Wandel voll verstanden …

… aber du hast immer noch so ein komisches Gefühl, dass dein zukünftiger Schwiegersohn sein Geld als Blogger verdient.

… aber du glaubst eigentlich immer noch nicht, dass jemand durch Spielen von Computerspielen echtes Geld verdient.

… aber du verstehst nicht, wieso Digitalisierung die Erwartungen deiner Kunden verändern sollte.

…aber du fragst Dich, warum die Marke, die du vor zwanzig Jahren erfolgreich etabliert hast, plötzlich Wettbewerber hat, die vor zwei Jahren noch niemand gekannt hat.

… aber du erwartest trotzdem, dass deine Mitarbeiter ihre Aufgaben immer perfekt erledigen.

… aber du fühlst Dich immer noch irgendwie intellektuell überlegen, wenn du morgens durch Deine gedruckte Tageszeitung blätterst.

… aber du willst deine CD-Sammlung doch gerne weiter behalten.

… aber du glaubst immer noch, Deine Kinder könnten sich im Internet nicht weh tun.

… aber du wunderst dich immer noch, wie die früher vereinzelten Verrückten jetzt plötzlich alle zusammenfinden.

Sind wir wirklich so digital wie wir glauben?

Natürlich haben wir alle das Gefühl, bei der digitalen Transformation ganz vorne mit dabei zu sein: Wir schreiben schon lang keine Briefe mehr, chatten statt zu telefonieren, gehen nicht mehr ins Kaufhaus sondern bestellen bei Amazon, buchen Parkschein und Busticket mit dem Handy, bezahlen an der Supermarktkasse lässig mit der AppleWatch, und brauchen dank Netflix auch fast kein Großelternfernsehen mehr.

In Job und Ausbildung hat uns Covid 19 dazu gebracht, Business-Meetings, Vorlesungen und Schulunterricht online durchführen zu können (auch wenn letztere hier sicher noch Nachholbedarf haben). Und der ein oder andere analysiert auch schon seine Produktions- und Vertriebsdaten mit KI-Tools und erhält dadurch neue und oft überraschende Einsichten.

Trotzdem bleibt die Frage: Haben wir wirklich ganzheitlich verstanden, was die aktuelle digitale Transformation alles mit sich bringt? Wie sie sich von der Digitalisierung wie wir sie aus den letzten Jahrzehnten kennen unterscheidet, welche Chancen und Risiken sie birgt? Aber auch, welchen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel sie mit sich bringt? Und sind wir wirklich bereit, uns auf diese Veränderungen einzulassen und sie vielleicht sogar voranzutreiben – oder versuchen wir insgeheim nicht doch an manchen Stellen, den uns vertrauten Status Quo aufrecht zu erhalten?

Was ist denn jetzt eigentlich so anders?

Unter Digitalisierung versteht man – über Industrie, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hinweg – die Veränderung existierender Produkte und Prozesse durch digitale Technologien, die von deren einfacherer Anwendung über eine Anreicherung von Inhalten und Funktionen bis zur ihrer vollständigen Ablösung durch gänzlich neue Lösungen reichen kann.

Rückblickend kann die Erstellung und Bearbeitung von Texten, Tabellen, Bildern, Zeichnungen, Musik und Videos auf Computern als erste Stufe der Digitalisierung gesehen werden. Die weltweite Vernetzung dieser Computer, zunächst stationär, dann auch mobil, stellt Stufe zwei und drei der Digitalisierung dar und hat zu neuen völlig neuen Dimensionen in Kommunikation und Kooperation geführt. Als vierte Stufe haben die sich erdrutschartig verbreitenden Smartphones nicht nur dazu geführt, dass ihre Nutzer jederzeit und überall auf das Internet zugreifen können; sie haben vor allem über ihre Kameras, Mikrofone und Positionssensoren und den massenhaften Upload der von diesen erzeugten Daten verhaltens- und standortbezogene Angebote ermöglicht.

Jede einzelne dieser Stufen hat dabei nicht nur neue Lösungen und neue Player hervorgebracht, sondern insbesondere auch das Ende vieler lange etablierter Produkte, Unternehmen und Berufszweige eingeläutet. Zu den Opfern der ersten Stufe gehören beispielsweise die Hersteller von Kameras, Tonbänder, Schreibmaschinen oder allem, was zum technischen Zeichnen nötig war. Die zweite und dritte Stufe haben das konventionelle Postwesen, Telefax oder Ferngespräche massiv eingeschränkt, Dienste wie Telex komplett abgeschafft und Datenträger wie Disketten, CDs oder DVDs überflüssig gemacht. Stufe vier hat über Location Based Services vielen konventionellen Dienstleistern das Wasser abgegraben, beispielsweise den Taxiunternehmen durch App-basierte Ride Hailing Dienste.

Die fünfte Stufe, in der wir uns aktuell befinden (was nicht heißen soll, dass die vorangegangenen Stufen auch nur halbwegs abgeschlossen wären), ist technisch definiert durch die Möglichkeit, riesige Mengen an von der weltweit wachsenden Zahl von Computern, Smartphones, vernetzten Fahrzeugen und weiteren Dingen kontinuierlich bereitgestellten Daten zu sammeln und zu strukturieren (sog. „Big Data“), um sie dann mit Hilfe von KI-basierten Analytics Tools zielgerichtet zu analysieren und dadurch zu neuen, wertvollen Informationen zu kommen: Von welchen Rahmenbedingungen hängt wirklich ab, ob ein bestimmtes Produkt gekauft wird? Welche Funktionen eines Fahrzeugs werden tatsächlich am häufigsten genutzt – und welche gar nicht? Welche Inhalte einer Website sind attraktiv und führen zum online Kauf – und welche eher nicht? Aus solchen Analysen lassen sich zum einen kunden- und anforderungsgerechte Angebote ableiten (wie das bekannte „Kunden, die Produkt X gekauft haben, haben auch die Produkte Y und Z gekauft“); es lässt sich insbesondere aber auch mit immer höherer Genauigkeit das Verhalten von Menschen und technischen Systemen voraussagen. Das gilt für die erfahrungsbasierte Prognose von Verkehrsstaus, von Instandhaltungsbedarfen von vernetzten Maschinen, Anlagen oder Fahrzeugen oder auch von menschlichem Fehlverhalten. In der Medizin unterstützt die Datenanalyse die Früherkennnung von Krankheiten, im Finanzwesen die Voraussage von Markt- oder Kursbewegungen. Und manche Online-Händler behaupten sogar, sie könnten aus der Analyse des Kaufverhaltens einzelner Kunden nicht nur deren zukünftige Bedarfe voraussagen, sondern durch Vergleiche von Verhaltensmustern beispielsweise auch eine Ehescheidung prognostizieren, bevor die Beteiligten die Entscheidung überhaupt getroffen haben.

Neben all diesen technischen Möglichkeiten bringt die Digitalisierung aber gerade in dieser aktuellen Stufe auch noch eine bedeutende gesellschaftliche Veränderung mit sich: Die Ausbildung einer „Digital Culture“, dem Arbeits- und Lebensstil einer Generation, die mit der Digitalisierung groß geworden ist (sowie auch einiger Älterer, die diesen Stil übernommen haben), und der sich vom bisher Üblichen deutlich unterscheidet – wie folgende Beispiele illustrieren sollen:

  • Geringe Produkt- und Markenbindung. Wer mit „one click in“ schnell kauft, ist auch mit „one click out“ genauso schnell wieder weg. Es wird nicht erwartet, dass Treue belohnt wird. Neue Anbieter am Markt werden eher mit Interesse und Enthusiasmus denn mit Skepsis und Zweifeln hinsichtlich Qualität und Zuverlässigkeit betrachtet. Das gilt auch für die Treue dem Arbeitgeber gegenüber.
  • Breiter Informationsstand: Kunden sind nicht nur zu den Produkten und Dienstleistungen, für die sie sich interessieren, umfassend informiert, sondern auch zu deren Anbietern. Oft wird keine Kaufberatung benötigt, weil der Kunde sich vorab so gut informiert hat, dass er vom fraglichen Produkt mehr weiß als der Verkäufer. Dabei sind Digitals werteorientiert, hellhörig, und sensibel: Wer in Internetforen mit der Ausbeutung lokaler Arbeitskräfte oder der Verursachung von Umweltschäden in Verbindung gebracht wird, ist trotz inhaltlich attraktiver Angebote schnell wieder aus dem Rennen.
  • Feedbackkultur: Digitals sind es gewohnt, schnell und unkompliziert Feedback zu bekommen und auch zu geben. Ein like hier, drei von fünf Sternen da. Dass die Erfahrungen eines unzufriedenen Kunden bereits Minuten später samt aller Emotion weltweit lesbar in entsprechenden Internetforen und Netzwerken steht, und wie man darauf am besten regiert, ist für viele etablierte Unternehmen immer noch Neuland.
  • Transparenz: Wer von Digitals personenbezogene Daten verwenden möchte, sollte nicht auf deren schnelle Zustimmung hoffen, sondern klar den Mehrwert herausarbeiten, den diese durch die Überlassung ihrer Daten bekommen. Wer Digitals führen möchte, sollte seine Erwartungen klar und deutlich formulieren und sich an Vereinbarungen halten.
  • Nutzen statt besitzen: Wer mit Streaming-Diensten statt eigener CD- oder DVD-Sammlung groß geworden ist, hat auch z.B. bei Werkzeugen, Autos oder Fahrrädern weniger das Bedürfnis, diese besitzen zu müssen. Digitals sind allen Arten von „X as a Service“ gegenüber deutlich aufgeschlossener.

Warum ist das für Unternehmen nun so relevant: Weil sie mit diesen Digitals heute in vierfacher Hinsicht konfrontiert werden: Als aufgeklärte Kunden ihrer Produkte und Dienstleistungen, als anspruchsvolle und nicht uneingeschränkt loyale Mitarbeiter und Führungskräfte, als sachbezogene Politiker und Gesetzgeber, die den gesetzlichen Rahmen für digitale Produkte und Prozesse vorgeben, und last but not least als kritische und eher themen- als parteiorientierte Wähler dieser Politiker. Sich intensiv mit den Inhalten und Auswirkungen der Digital Culture auseinanderzusetzen ist für Unternehmen deshalb strategisch ein absolutes Muss.

Welche Chancen, Risiken und Veränderungen ergeben sich daraus?

Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen und Systemen zu prognostizieren, bietet ganz offensichtlich eine Vielzahl von unternehmerischen Chancen: Wer genau weiß, was der Markt sich wünscht, wie seine Produkte jeweils tatsächlich genutzt werden und in welchem Zustand sie sich gerade befinden, und somit seinen Kunden individuelle Service- und Produktangebote machen kann, ist nicht nur dem Wettbewerb gegenüber klar im Vorteil, sondern kann auch über den gesamten Wertschöpfungsprozess von der Entwicklung über Produktion und Vertrieb bis hin zu Service und Recycling seine Kapazitäten deutlich zielgerichteter planen und einsetzen:

  • Zielgerichtetes Produktmanagement inkl. individueller Produkt- und Serviceangebote
  • Anforderungsgerechte Produktauslegung (keine Über- oder Unterdimensionierung)
  • Früherkennung von Konstruktions- Produktionsfehlern
  • Individuelle Prognose von Wartungsbedarfen
  • Erkennung von Reparaturbedarfen
  • Geregelte Rücknahme / Recycling am Lebensende

Gerade weil dadurch in Summe die Attraktivität der Angebote für die Kunden so enorm steigt, werden Wettbewerber, die den Einstieg in diese Technologien und die Nutzung ihrer Potenziale versäumen,  relativ schnell den Anschluss verlieren. Ein in der Euphorie über die offenkundigen Chancen häufig übersehener Aspekt, der die gewünschte digitale Transformation im Unternehmen nicht nur aufhalten, sondern auch zum Scheitern bringen kann, ist die Unternehmens- und Führungskultur. Während der digitale Wandel in der Gesellschaft bereits vergleichsweise breit verankert ist, tun sich Führungskräfte und Mitarbeiter etablierte Unternehmen damit offensichtlich häufig immer noch schwer. Die Nutzung von Big Data und KI und den damit verbundenen digitalen Wandel sehen sie teilweise als massive Bedrohung ihrer oft mühsam erarbeiteten Rolle und Bedeutung im Unternehmen, wobei drei Aspekte der Angst im Vordergrund stehen:

  1. Entwertung des persönlichen Erfolgs: Viele Führungskräfte und Spezialisten sehen die etablierten – und ja erfolgreichen – Produkte, Prozesse und Vorgehensweisen der Vergangenheit als mitursächlich für ihren persönlichen Erfolg und mögliche Veränderungen als Versuch, diesen zu entwerten, sowie als Verrat an den eigenen Werten.
  2. Verlust von „Herrschaftswissen“: Grundlage der Nutzung von Big Data und Analytics im Unternehmen ist die Zusammenführung aller verfügbaren Daten in einem für alle Beteiligten zugänglichen Data Lake oder Digital Twin. Doch genau diese Offenlegung wird als Gefahr gesehen. „Nur meine Abteilung und ich ermitteln die genauen Vertriebszahlen. Wer wissen möchte, wie viele welcher Produkte in welchen Märkten verkauft wurden, muss zu mir kommen, und mich darum bitten. Einen Teufel werde ich tun und diese Daten jetzt einfach so für alle bereitstellen. Da würden ja auch unsere Fehler sofort für alle transparent.“
  3. Wegrationalisierung des eigenen Arbeitsplatzes: So wie in der Fertigung durch Automatisierung werden durch den Einsatz von Big Data und Analytics auch in anderen Bereichen Arbeitsplätze überflüssig – hier allerdings die von Spezialisten und Führungskräften. Die Abschätzung und Prognose etwa von Vertriebs- oder Nutzungsdaten oblag in den Unternehmen lange Zeit hochspezialisierten und hochangesehenen Abteilungen, deren Expertise nun in immer stärkerem Maße durch leistungsfähige Analytics-Tool ersetzt werden kann – die die erforderlichen Prognosen zudem auf Knopfdruck, jederzeit und nachvollziehbar generieren.

Was tun?

Soll die digitale Transformation nachhaltig erfolgreich sein, darf sie deshalb nie auf die Einführung neuere IT-Technologien beschränkt bleiben, sondern muss im Sinne eines von der Unternehmensführung vorgegebenen und vorgelebten Change-Programms auch die erforderliche Veränderung der internen Prozesse sowie der Unternehmenskultur vorantreiben. Dazu gehört, Verständnis und Perspektiven zu schaffen, und durch Qualifizierung die persönliche Veränderung jedes Betroffenen individuell zu unterstützen. Dazu gehört aber auch, konsequent mit denjenigen Führungskräften umzugehen, die sich dem Wandel aus persönlichen Gründen verschließen und damit letztlich auch die für den Wandel und den langfristigen Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erforderlichen Entscheidungen nicht treffen.

Culture eats Strategy for Breakfast. Woran Veränderung wirklich scheitert …

Wir kennen das alle – natürlich nur von Freunden und Bekannten, nicht aus eigener Erfahrung: Die aus gutem Grund, fest und unwiderruflich gefassten Neujahrsvorsätze wie gesünder zu essen oder mehr Sport zu machen werden schon Anfang Februar von der unaufhaltsam durchbrechenden Macht der Gewohnheit torpediert und sterben dann einen leisen und erbärmlichen Tod. Was bleibt sind anhaltende Frustration und die monatlichen Abbuchungen des Fitnessstudio-Jahresvertrags.

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Ganz ähnlich ergeht es häufig auch den guten Vorsätzen von Unternehmen, im Fachjargon Strategien genannt. Auch diese scheitern in der Regel nicht, weil es ihnen an Sinn, Schlüssigkeit oder Notwendigkeit fehlt, sondern – ganz im Gegenteil – weil sie aus Sicht der Verantwortlichen so sinnvoll, schlüssig und notwendig sind, dass ihre flächendeckende Umsetzung als „Selbstläufer“ und jegliches weiteres Dazutun als unnötiger Aufwand und somit als überflüssig gesehen wird. Und genau wie an dem kalten Sonntagmorgen im Februar, an dem ein plötzlich gefühlter leichter Schmerz im Rücken Grund genug ist, dann doch nicht wie geplant im Wald laufen zu gehen, schlägt auch hier die Gewohnheit erbarmungslos zu, diesmal in Gestalt der oft über Jahre und Jahrzehnte gewachsenen Unternehmenskultur.

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„Wir haben das doch jetzt alles sauber hergeleitet, vereinbart und an alle kommuniziert. Alle haben gesagt, sie hätten verstanden, was und warum es zu tun ist. Warum um alles in der Welt passiert jetzt nichts?“. In der heutigen Zeit kann das lebensbedrohlich sein. Ein Unternehmen, das in Zeiten des Wandels (wie etwa aktuell in den Bereichen Digitalisierung, Mobilität oder Nachhaltigkeit) durch bewusst oder unbewusst retardierende Kräfte daran gehindert wird, sich schnell genug an die sich laufend ändernden Rahmenbedingungen und Spielregeln anzupassen, verliert unweigerlich den Anschluss und ist dann ganz plötzlich „raus aus dem Spiel“.

Die Fähigkeit, die Kultur seines Unternehmens zum einen wirklich zu kennen und sie zum anderen erforderlichenfalls auch gezielt beeinflussen zu können, ist also eine essentielle Voraussetzung für die nachhaltige Umsetzung strategischer Ziele. Was einfacher klingt als es ist, denn mit Unternehmenskultur ist nicht wie häufig angenommen gemeint, wie sehr sich die Mitarbeiter eines Unternehmens für seine Marken und Produkte begeistern, sondern die Summe ihrer individuellen Einstellungen, Wünsche und Gefühle sowie der aus gruppendynamischem Zusammenwirken entstehenden gemeinsamen Normen, Werte und Verhaltensweisen. Und dadurch wird sie für die gewünschte nachhaltige Umsetzbarkeit von Veränderungsbedarfen zum erfolgskritischen Faktor: Werden diese bis auf die unterste Ebene nachvollziehbar und begründet kommuniziert und ihre Umsetzung nachgehalten, oder wird das durch eine als „Lehmschicht“ wirkende mittlere Führungsebene verhindert? Stehen die mit der Umsetzung beauftragten Mitarbeiter wirklich hinter den Strategien, oder herrscht eher die Auffassung, dass „die da oben“ sich schon wieder was Neues ausgedacht haben, was aber wie schon bei den letzten Malen auch dieses Mal wieder wenn überhaupt nicht so heiß gegessen wird wie es gekocht wurde?

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Eine in diesem Sinne positiv wirkende Unternehmenskultur verbindet alle Hierarchieebenen und schafft über Vertrauen eine grundsätzliche Offenheit für Veränderungen. Ein wichtiges Detail dabei ist, dass „gemeinsam“ hier alle an der Wertschöpfung beteiligten Partner miteinschließt, nicht nur Mitarbeiter im rechtlichen Sinn. Kultur macht an organisatorischen Grenzen nicht Halt. Und: Unternehmenskultur lässt sich nicht über einmalige online-Mitarbeiterbefragungen erfassen und schon gar nicht durch Vorstandsentscheidungen über Nacht verändern – auch nicht mit Hilfe von extra dafür eingesetzten und am Ende sogar noch extern rekrutierten Kulturbeauftragten. Voraussetzung für einen wirklich nachhaltigen Wandel der Unternehmenskultur ist eine langfristige, bidirektionale und ehrliche Interaktion zwischen Unternehmensleitung, Führungskräften und Mitarbeitern. Und zwar gar nicht so sehr – wie häufig missinterpretiert – aus reiner Philanthropie (auch wenn ein sich als Nebeneffekt einstellender anständiger und respektvoller Umgang mit den eigenen Mitarbeitern und Führungskräften ja durchaus begrüßenswert ist), sondern primär ganz schlicht zum Wohle des Unternehmens.

Making Connected Cars Work. Die nächste Dimension der Automobilentwicklung.

Automobilentwicklung

In der Produktentwicklung waren Pkw sicherlich schon immer eine der größten Herausforderungen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Produktkategorien werden ihre kundenrelevanten Funktionen und Eigenschaften wie Agilität, passive Sicherheit, Fahrkomfort oder Karosserie- und Interieurdesign nicht durch ein bestimmtes Bauteil wie etwa Motor, Karosserie, Sitze, Antriebsstrang oder Fahrwerk erfüllt, sondern durch ein komplexes Zusammenspiel vieler und oft sogar aller dieser Komponenten. Im Laufe der Zeit haben sich jedoch die Grenzen des Systems Auto, das im Rahmen der Fahrzeugentwicklung zu berücksichtigen ist, sukzessive erweitert.

Level 1: Als Autos einfach nur Autos waren. Klassische Gesamtefahrzeugintegration.

Die Entwicklung eines Premium Pkw erfolgte schon immer als eine Abfolge von Entwicklungszyklen. Ab dem ersten Fahrzeugkonzept umfasste jeder dieser Zyklen die Dimensionierung und Konstruktion der Komponenten, deren Erprobung und Optimierung mit virtuellen oder realen Prototypenteilen, und schliesslich deren Zusammenführung zu einem kompletten – wiederum virtuellen oder realen – Fahrzeug, um dieses dann zu testen und in einer nächsten Schleife zu optimieren. Dieser Fahrzeugintegrationsprozess umfasst die richtige Positionierung aller Komponenten innerhalb des Gesamtfahrzeugs unter Berücksichtigung des verfügbaren Platzes und des erforderlichen Abstands (sog. geometrische Integration), die Validierung der Herstellbarkeit (sog. produktionstechnische Integration) und nicht zuletzt die Sicherstellung der oben genannten gewünschten und erforderlichen Fahrzeugeigenschaften und -funktionen (sog. funktionale Integration).

Sowohl die elektrischen Komponenten wie Leuchten, Fensterheber oder Servolenkung als auch die wenigen elektronischen Geräte wie Motorsteuergeräte, Navigationssysteme oder Antiblockiersysteme waren separate Einzelsysteme, die sich die Stromversorgung teilten, aber unabhängig voneinander liefen. Die konventionellen Fahrzeuge, die aus diesem Fahrzeugentwicklungsprozess der ersten Stufe hervorgingen, waren hochintegrierte und optimierte „Systeme elektromechanischer Komponenten“.

Level 2: Systemintegration. Wie man Computer auf Rädern entwickelt.

Als die Premium-Hersteller nach der Jahrtausendwende dazu übergingen, fast jede Komponente über Software zu steuern und alle diese Komponenten dann zu einem „System von Systemen“ zu verknüpfen, und dabei aber am gewohnten Entwicklungsprozess festhielten, erwies sich dieser schnell als ganz offensichtlich unzureichend. Ohne konsequente Validierung der elektronischen Funktionen fehlte diesen Systemen die erforderliche technische Reife, und speziell frühe Kunden verzweifelten regelmäßig am unvorhersehbaren Verhalten ihrer Fahrzeuge. Vor allem die bis unters Dach mit Funktionen ausgestatteten Flaggschiffe der Luxusklasse überraschten ihre Besitzer durch mit plötzlich und unerwartetes Öffnen von Fenstern und Schiebedächern, Einschalten von Scheibenwischern Abstellen des Motors.

Um schnell aus dieser peinlichen (und kostspieligen) Situation herauszukommen, beeilten sich die Automobilhersteller, ihren bestehenden Fahrzeugintegrationsprozess durch einen Systemintegrationsprozess zu verbessern, um Hardware und Software umfassend und gemeinsam validieren zu können – zuerst auf Komponentenebene, dann auf Domänenebene und schließlich auf Gesamtfahrzeugebene. Während Änderungen von Steuerungssoftware auf Komponentenebene zuvor in der Regel unkontrolliert durchgeführt wurden, mussten sie sich die Ingenieure nun an einen strikten Freigabeprozess halten, der zu gründlich abgesicherten Hardware-Software-Sets (sog. Integrationsstufen) führte. Auf diese Wiese wurde dann die gewünschte Systemzuverlässigkeit dieses „Computers auf Rädern“ sichergestellt, bevor das Auto das Werk verließ und dem Kunden übergeben wurde.

Level 3: Vernetzte Autos. Dinge im Internet der Dinge.

Obwohl man es nie so genannt hat, war das Autoradio eigentlich die erste datenbasierte Fahrzeugfunktion (wenn auch zunächst analog und nicht digital). Eine funktionierende Komponente allein war nicht ausreichend. Damit das Radio seinen Dienst versehen konnte, mussten auch die Rundfunkstationen kontinuierlich senden. Und so, wie Automobilhersteller auch nie einen Vertrag mit Tankstellen hatten, der diese verpflichtet hätte, Treibstoff und Öl zu liefern, vertrauten sie beim Verkauf von Fahrzeugen mit Radio einfach darauf, dass die Rundfunkstationen auch senden würden. Und: Kein Kunde wäre je auf die Idee gekommen, den Hersteller seines Autos für die Qualität der im Radio empfangenen Inhalte verantwortlich zu machen.

Jahrzehnte später wurde dann die Datenübertragung in die andere Richtung, nämlich vom Auto zu einem Backend-System hin, verwendet, um den Besitzer auf anstehende Servicebedarfe hinzuweisen. Zuerst noch über Diagnosekabel in der Werkstatt, dann über mobile Internetverbindung. Da diese Teleservices jedoch eher auf den Händler als auf den Kunden abzielten, war ihre Zuverlässigkeit eher unkritisch, und ihre Entwicklung verlief nicht als Teil, sondern losgelöst parallel zur Fahrzeugentwicklung.

Wenn jedoch datenbasierte Funktionen wie Audiostreaming, Verkehrsflussinformationen oder Fernbedienung über Smartphones dem Kunden als Teil des Funktionsumfangs seines Fahrzeugs angeboten werden, müssen diese auch als Teil des Fahrzeugs mitentwickelt werden. Neben den elektronischen on-board Systemen erfordern solche datenbasierten Funktionen aber auch off-board Elemente, z.B.:

  • Datenanbieter, der die erforderlichen Daten wie z.B. Verkehrsfluss oder Wetterbedingungen liefert.
  • Ein oder mehrere Backend-Server, auf denen diese Daten gesammelt, gespeichert und ggf. vorverarbeitet werden.
  • Ein Mobilfunk-Netzwerk zum Datenaustausch zwischen Autos und Backend-Servern.
  • Zusätzliche vernetzte Systeme, die Daten mit Backend-Servern oder Autos austauschen können wie z.B. Smartphone-Apps oder Internetportale.

Durch diese Erweiterung der Systemgrenzen werden Autos vernetzt, werden zu „Dingen im Internet der Dinge“. Um vernetzte Funktionalität zu gewährleisten, muss zunächst der Fahrzeugentwicklungsprozess diese Off-Board-Elemente mit abdecken. Dann müssen, wie bei jeder anderen Komponente, Qualitätskriterien für die Daten und deren Bereitstellungsprozess definiert werden:

  • Datenverfügbarkeit: Daten müssen zuverlässig und zeitnah generiert, übertragen und aggregiert werden. Die Bereitstellung von z.B. 10 Minuten alten Daten in einem Verkehrsflußinformationssystem macht das System wertlos und führt beim Kunden zu großer Unzufriedenheit. Die Verantwortung für die Datenverfügbarkeit liegt bei den Datenanbietern, aber auch bei Mobilfunk- und Backend-Betreibern.
  • Datenqualität: Auf einer Straße im Stau zu stehen, die im Verkehrsflußinformationssystem als staufrei angezeigt wurde oder festzustellen, dass das Parkaus, zu dem einen das Parksystem geführt hat, ausgebucht ist, sind nur zwei Beispiele dafür, was Kunden passieren kann, wenn Daten zwar verfügbar aber von schlechter Qualität sind. Die Verantwortung hierfür liegt ausschliesslich bei den Datenanbietern.

Um die ordnungsgemäße Funktion datenbasierter Dienste zu gewährleisten, müssen die Automotive-Entwicklungsprozesse für vernetzte Fahrzeuge geeigneten Methoden, Teilprozesse und Meilensteine enthalten, die eine robuste Bereitstellung von Funktionsdaten gewährleisten solange die jeweilige datenbasierte Funktion verwendet wird.

Vom Produzenten zum Dienstleister. Die fast unbemerkte Transformation.

Die wirklich radikale Veränderung für die Automobilhersteller ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass im Gegensatz zu herkömmlichen Fahrzeugfunktionen, deren Verhalten beim Verbau im Werk eindeutig festgelegt wird, datenbasierter Funktionen in vernetzten Autos vom Hersteller über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg rund um die Uhr betrieben werden müssen. Für die Hersteller reicht es also nicht mehr aus, möglichst fehlerfreie Autos auszuliefern und bei Bedarf Reparatur- und Wartungsdienstleistungen zu erbringen; zu ihren Aufgaben gehört es nun eben auch, den Betrieb von Fahrzeugfunktionen kontinuierlich sicherzustellen.

Dies gilt insbesondere auch für autonome Fahrzeuge. Um diese unter allen möglichen Bedingungen sicher durch den Verkehr zu führen, müssen ihre Steuerungssysteme (die bei weitem komplexeste datenbasierte Automobilfunktion) kontinuierlich eine enorme Datenmenge mit dem Backend austauschen, und jemand (in der Regel der Hersteller) muss dafür sorgen, dass dies dauerhaft, sicher und zuverlässig funktioniert.

Letztendlich müssen sich Organisation und Prozesse an diese Transformation anpassen. Da die laufende Interaktion mit dem Fahrzeug die Aufgaben des „After Sales“ deutlich anreichert, müssen die Unternehmen die Verantwortlichkeiten für den laufenden Betrieb von datenbasierten Funktionen sowie das Management ihrer Qualität klären. Die klassische Silostruktur – Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Aftermarket – ist hier ganz offensichtlich nicht mehr die richtige Antwort.

Talkin‘ Bout a Transformation …

#emobility

Ob nun sehnsüchtig erwartet oder nur widerwillig zugegeben: Inzwischen haben Sie wohl akzeptiert, dass Elektroautos unaufhaltsam auf dem Vormarsch sind. Und auch wenn man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass es auch im Jahr 2050 zumindest an manchen Orten noch Autos mit Verbrennungsmotoren geben wird, sieht es doch so aus, als ob sich Elektrofahrzeuge und Plug-in Hybride in den Städten durchsetzen werden. Weitaus weniger klar ist dagegen – auch wenn es immer mehr öffentliche Ladestationen gibt – wie EV-Fahrer mit der begrenzten Reichweite ihrer Fahrzeuge zusammen mit der wahrgenommenen Knappheit an Lademöglichkeiten zurechtkommen. Und während Sie von ein paar Ingenieuren wieder und wieder zu hören bekommen, dass Brennstoffzellen und Wasserstoff dieses Problem für immer lösen würden, lässt Sie die alptraumhafte Vorstellung eines riesigen Kraters nicht los, der sich nach einem Autounfall mit einem schlecht gewarteten Wasserstofffahrzeug über die gesamte Breite der Autobahn erstreckt.

#mobilityservices

Wenn Sie dann ihre Business-Magazine durchblättern, wird Ihnen immer wieder eingetrichtert, dass sich der Autobesitz, das jahrhundertealte Mobilitätsmuster Nummer eins, als Geschäftsmodell mehr oder minder im freien Fall befindet. Urbane Teenager, deren Väter im selben Alter noch von italienischen Sportwägen träumten, machen nicht einmal mehr den Führerschein. Wo Bahn, Bus oder Fahrrad keine Option wären, würden die Menschen keine Autos kaufen oder leasen, sondern sich ein Auto teilen oder einen Fahrdienst wie Uber rufen, den erschwinglichen und app-gesteuerten Nachfolger dessen, was lange Zeit als Taxi bekannt war. Was Sie aber noch mehr beunruhigt, ist, dass neue digitale Dienstleister bald das gesamte Mobilitätsgeschäft übernehmen sollen, wobei die einstmals stolzen Autohersteller zu einfachen Hardwareanbietern heruntergestuft werden und der öffentliche Personenverkehr um Unterlizenzen betteln muss.

#autonomous

Darüber hinaus hören Sie von den Autoherstellern aber, dass sie bald schon vollautonome Fahrzeuge auf die Straße bringen werden. Nicht nur so etwas wie ein fortgeschrittenes Fahrerassistenzsystem, sondern wirklich Autos, die weder Lenkrad noch Pedale haben, dafür aber viele extrem teure Sensoren und Software, die ausgiebig getestet werden und  ursprünglich für Militärflugzeuge entwickelten Sicherheitsstandards entsprechen muss. Und während Sie sich trotz aller Zuversicht und Vertrauens in die Technik immer noch fragen, wie es solche Autos jemals sicher durch ungesicherte Baustellen oder Schneestürme schaffen sollen und – was noch wichtiger ist – wer, abgesehen von Fahrdienstanbietern, solche Autos dann tatsächlich kaufen möchte, bekommen Sie mit, wie das angekündigte Datum, ab dem diese Robocars die Straßen unserer Städte bevölkern sollten, Jahr für Jahr nach hinten verschoben wird.

#digitalization

Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, sagen Ihnen dann einige von den Jungs um Sie herum, die Sneakers und Vollbart tragen und zu Hause E-Sports anschauen, dass Daten das neue Gold sind, dass Big Data noch mehr Gold bedeutet und dass Ihr Unternehmen deshalb agil arbeiten, schnell scheitern und fix etwas anbieten sollte, das Sie zwar als völlig inakzeptabel bezeichnen würden, von denen aber Minimal Viable Product genannt wird, und dass Sie dieses dann skalieren und sich selbst am Ende des Tages einer sogenannten digitalen Transformation unterwerfen sollten. Und das alles natürlich ganz unabhängig davon, ob Sie in der Automobilindustrie, im Bereich der Mobilitätsdienstleistung, Energie, öffentlichen Verkehrsmitteln, Versicherungen, Gesetzen oder wo auch immer tätig sind. Nachdem Sie darüber nachgedacht haben, beschleicht Sie irgendwie das Gefühl, dass das alles zwar nicht wirklich neu aber trotzdem beunruhigend ist. Wenn Sie nur diese vielen komischen IT-Buzzwords verstehen würden.

#change

Wenn Sie in den letzten Jahren irgendwo im Bereich der Mobilität beschäftigt waren, klingt all dies wahrscheinlich seltsam vertraut. Sie, der kampferprobte Manager, jetzt etwas orientierungslos und unbestimmt in diesem überwucherten Dschungel der Mobilität der Zukunft. Wie passt das alles zusammen? Die gute Nachricht ist: Noch nie ist jemand durch Software alleine von einem Ort zum anderen gebracht worden. Aber die Tatsache, dass Fahrzeuge und die Smartphones ihrer Insassen eine exponentiell steigende Datenmenge senden und empfangen, dass sie mit Back-End-Servern und untereinander verbunden sind und dass künstliche Intelligenz aus diesen Daten erstaunliche und wertvolle Informationen schaffen kann, wird nicht nur die Funktionalität von Fahrzeugen und Mobilitätsdiensten verbessern, sondern auch die Art und Weise wie sie entwickelt, produziert bzw. ausgerollt, vermarktet und verkauft werden – und vor allem, wie Fahrzeuge und ihre Privat- oder Firmenkunden nach dem Verkauf bedient werden– dramatisch verändern.

Der Schlüssel zum Überleben und zum Erfolg liegt im Wandel. Letztendlich stellt sich weder die Frage, ob man sich proaktiv an der digitalen Transformation beteiligen sollte, noch wann man es tun sollte (die Antworten sind ja und jetzt). Die einzige Frage ist, wie – und kann von den menschen, die Ihr Unternehmen über die letzten Jahrzehnte dahin gebracht haben, wo es heute steht, in der Regel nicht ausreichend beantwortet werden …

Umzingelt von Idioten – oder lässt sich der Mobilitätswandel nicht doch etwas differenzierter betrachten?

Mobilität bewegt auch die Emotionen 

Ein Blick auf die Kommentare zu entsprechenden Posts hier in LinkedIn oder anderswo belegt: Der Mobillitätswandel betrifft jeden einzelnen sehr direkt – und ist dementsprechend emotional belegt. Vergleichbar zu Themen wie Kernenergie oder Migration gilt: Wer eine andere Meinung vertritt als ich selbst, und diese Meinung – egal ob tatsächlich oder nur angenommen – meine eigenen Lebensumstände bedroht, greift mich persönlich an, und ich schieße dementsprechend schnell und scharf zurück. Eine sachliche Auseinandersetzung bleibt da oft auf der Strecke.

Dabei ist es offensichtlich, dass es die für alle richtige Lösung nicht gibt, ja nicht geben kann. Es hat bezüglich der Mobilität nicht nur jeder seine eigenen individuellen Vorlieben und Prioritäten, es muss auch jeder mit seinem eigenen Rahmen aus individuellen und generellen Sachzwängen zurechtkommen – sei es die persönliche Lebenssituation inklusive der verfügbaren finanziellen Mittel, die lokale Verfügbarkeit bestimmter Mobilitätsangebote samt erforderlicher Infrastruktur oder die jeweils geltende Gesetzeslage.

Wer also den Familienvater, der auf dem täglichen Weg von seinem Haus mit Garage in einer beschaulichen Gemeinde im Landkreis an seinen Arbeitsplatz im nahegelegenen Gewerbepark noch nie im Stau stehen geschweige denn sich Gedanken um einen Parkplatz machen musste, auffordert, sich doch endlich über den Verzicht auf seinen Pkw Gedanken zu machen, wird dabei durchaus begründet auf wenig Verständnis stoßen. Wer umgekehrt im Stadtzentrum wohnt, wo die monatliche Stellplatzmiete in einer Tiefgarage in der Größenordnung der Leasingrate eines Mittelklassewagens liegt, und von seiner Wohnung aus in weniger als einer Viertelstunde mit der U-Bahn ins Büro kommt, ist vermutlich gottfroh, kein eigenes Auto mehr zu besitzen und bei Bedarf Alternativen wie Car Sharing oder Ride Hailing nutzen zu können.

Wandel, ja natürlich. Aber wovon wohin? 

Unbestritten ist: Mit dem eigenen Auto zu fahren galt jahrzehntelang in der Mobilität als Standard, und dementsprechend wurden auch alle anderen Arten der Fortbewegung als Mobilitätsalternativen bezeichnet – völlig ungeachtet der Tatsache, dass diese Alternativen zum Teil schon deutlich länger verfügbar sind und speziell in den Metropolen auch von weit mehr Menschen genutzt werden als eigene Pkw. Fakt ist aber auch: Die aus diesem Standard in den Städten entstandene Verkehrssituation wird von den dort lebenden Menschen – und zwar sowohl von Autofahrern als auch von anderen Verkehrsteilnehmern – tagtäglich und zunehmend als massives, multidimensionales Problem wahrgenommen: Auf der einen Seite durch Verkehrsstaus und Parkplatzknappheit, auf der anderen Seite durch Verschlechterung der Luftqualität, zunehmende Emission von Treibhausgasen und Lärm, Verschlechterung der Verkehrssicherheit und Belegung des knapper werdenden öffentlichen Raums durch fließenden und ruhenden Verkehr. Dass immer mehr Menschen in die Ballungszentren ziehen und dort mit einem eigenen Auto mobil sein wollen, verschärft die Situation dabei unaufhörlich weiter.

Darüber, dass sich an der Verkehrssituation etwas ändern muss, sind sich alle davon Betroffenen einig; darüber aber, wie sich die Probleme tatsächlich lösen ließen und ein entsprechender Wandel konkret aussehen sollte, gehen die Meinungen deutlich auseinander: Wer weiterhin Auto fahren möchte, hofft auf mehr Straßen und Parkmöglichkeiten, sei es durch Erweiterung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur oder indem möglichst viele andere auf Mobilitätsalternativen umsteigen. Wem die Emissionsreduzierung am Herzen liegt, der wünscht sich die durchgängige Ablösung von Verbrennungsmotoren durch elektrische Antriebe. Und wer in seiner Umgebung wieder mehr Grünflächen und Platz für alternative Mobilität haben möchte, dem schweben vielleicht Innenstädte ganz ohne private Pkw vor.

Extrempositionen der individuellen Mobilität 

Am Ende ist die reale Mobilitätssituation immer das Ergebnis der Summe der individuellen Entscheidungen, die innerhalb eines Rahmens aus persönlichen Möglichkeiten und Präferenzen, marktseitigen Angeboten, verfügbarer Infrastruktur sowie last but not least regulatorisch/politischen Bedingungen getroffen werden. Der Einzelne entscheidet dabei nicht nur über seinen persönlichen Mobilitätsmodus, er regelt vielmehr über die Nachfrage auch das Angebot an Mobilitätsprodukten und -diensten und beeinflusst durch Wahl einer Partei oder eines Abgeordneten auch die Förderung oder Ablehnung unterschiedlicher Lösungen durch regulatorische Vorgaben. Der Mobilitätswandel wird somit – zumindest in demokratischen Verhältnissen – direkt wie indirekt durch den Mehrheitswillen getragen. und ist deshalb für den Einzelnen oftmals nur schwer zu verstehen und zu ertragen.

In dieser Situation haben heute auf der einen Seite viele Menschen den Eindruck, dass sich Politik und Gesellschaft in immer mehr Dinge einmischen, die früher noch als reine Privatsache waren. Natürlich darf jeder rauchen – aber schon lange nicht mehr überall. Natürlich darf jeder anziehen, was er will – wird aber auch damit konfrontiert, unter welchen Bedingungen seine Kleidungsstücke am anderen Ende der Welt hergestellt wurden. Es darf auch grundsätzlich jeder essen, was er will – muss sich aber Fragen zu Fair Trade, Umweltschutz und Tierwohl gefallen lassen. Das gleiche Gefühl entsteht nun auch in puncto Mobilität: Darf ich denn jetzt nicht mal mehr Auto fahren?

Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit anderen persönlichen Werten und Prioritäten, die beispielsweise ökologischer und sozial nachhaltigem Leben und Handeln einen hohen Stellenwert einräumen, wunderbar ohne eigenes Auto zurechtkommen und sich aber durch das Mobilitätsverhalten anderer in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen. Von einem solchen Standpunkt her ist es dann häufig unverständlich, warum jemand um alles in der Welt an seinem eigenen Auto festhalten möchte.

Wie kommt man hier nun als Bürger mit Mobilitätsbedarf, als Mobilitätsanbieter oder auch als Politiker trotz aller Meinungsunterschiede zu vernünftigen und mehrheitsfähigen Lösungen? Unabdingbare Voraussetzung dafür ist die grundsätzliche Annahme, dass Menschen mit einer anderen Meinung als der eigenen diese nicht grundsätzlich aus Dummheit oder Bösartigkeit vertreten, und die darauf aufbauende Bereitschaft, sich in einer Betrachtung des Gesamtsystems sachlich und differenziert auch mit konträren Standpunkte auseinanderzusetzen. Dabei hilft ein Blick auf die Motive, aus denen Extrempositionen vertreten werden. In diesem Sinne sind in den Abbildungen 1 und 2 unterschiedliche Gründe aufgeführt, aus denen die Positionen „Ich fahre mit meinem eigenen Auto und will das auch weiter tun!“ und „Ich besitze kein eigenes Auto und will auch keines!“ eingenommen werden – jeweils absteigend nach Alternativlosigkeit geordnet.

Neben dem Verständnis für die Argumentation der „Gegenseite“ birgt diese analytische Betrachtung noch einen weiteren Vorteil: Sie fördert auch die Defizite der eigenen Argumentation bzw. des eigenen Angebots zu Tage: Wer Pkw verkaufen möchte tut gut daran zu verstehen, warum manche Menschen dieses Angebot nicht oder nicht mehr anspricht, und mit welchen Fahrzeugen oder Diensten Kunden gehalten oder zurückgewonnen werden könnten. Wer dagegen Alternativen zum eigenen Pkw anbietet sollte umgekehrt ganz genau darauf schauen, was denn Menschen dazu treibt, trotz allem weiterhin mit dem eigenen Auto fahren zu wollen.

Machen wir uns keine Illusion: Am Ende wird auch diese Vorgehensweise nicht zu einem Ergebnis führen, mit dem alle glücklich sind. Aber sie macht die Debatten um den Mobilitätswandel spürbar konstruktiver und führt diesen somit klar in Richtung eines Gesamtoptimums.

Coronavirus und Mobilität: Am Ende jedes Tunnels ist Licht.

Die meisten Maßnahmen zur Lösung der durch die Mobilität verursachten Probleme zielen darauf ab, die verfügbaren Mobilitätsoptionen zu verbessern oder zu verbessern, z. B. durch die Entwicklung von Elektroautos mit geringeren oder gar keinen Emissionen, die Ermöglichung des autonomen Fahrens, die Schaffung alternativer Fahrzeugkonzepte, die allgemeine Verbesserung des öffentlichen Verkehrs oder das Angebot innovativer Mobilitätsdienste.

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Wenige Maßnahmen konzentrieren sich jedoch auf die eigentliche Ursache dieser Probleme, nämlich die individuellen Mobilitätsbedürfnisse. Abgesehen von den enorm langfristigen und kostspieligen politischen Bemühungen, monozentrische in polyzentrische Städte umzuwandeln, um dadurch die Menschen in ihrer Nachbarschaft zu halten und somit die durchschnittliche Weglänge zu verkürzen, besteht eine kurzfristige und wirksame Maßnahme darin, die Gesamtzahl der Wege zu reduzieren, indem man persönliche Treffen durch Tele-Kooperationen ersetzt, z. B. Telearbeit, Tele-Learning oder Tele-Diagnose. Doch während die erforderliche Technologie seit vielen Jahren verfügbar ist, blieb ihre Anwendung oft aufgrund eher irrationaler Hürden stecken: Die IT hatte nicht die erforderliche Hard- und Software installiert, Mitarbeiter hatten Hemmungen, einfach zu Hause zu bleiben, Manager fürchteten, die direkte Kontrolle über ihre Mitarbeiter zu verlieren, Professoren wollten die persönliche Interaktion mit ihren Studenten nicht aufgeben, und Patienten zögerten, sich Blutdruck, Puls- oder Körpertemperatur selbst zu messen. Und schließlich war auch der Druck nie so hoch, so dass auch die Notwendigkeit dieser Transformation offensichtlich nicht als so dringend angesehen wurde.

Doch jetzt, da die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung von Covid 19 dazu führen, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter auffordern, wann immer möglich von zu Hause zu arbeiten, Schulen und Universitäten schließen, Arzttermine verschoben werden und persönliche Treffen generell auf ein Minimum reduziert werden, erhält die Telekooperation einen echten Schub. Da es keine Alternativen mehr gibt, werden die Menschen aktiv, nutzen die Technologie zum ersten Mal – und erkennen dann nicht nur, wie einfach und komfortabel es funktioniert, sondern auch, wie viel Zeit sie sparen können, die sie früher unterwegs verbracht haben. Und darüber hinaus wird deutlich, dass Hard- und Software für die Telekooperation ganz klar zur sogenannten kritischen Infrastruktur gehören und dass ihre Verfügbarkeit und Leistung entsprechend gesichert werden sollte.

Abgesehen von all den schwerwiegenden und weltweiten Auswirkungen, die die Corona-Pandemie noch eine ganze Weile haben wird, wird der Schub für die Tele-Kooperation und dessen positive Nebenwirkungen für die Mobilität sicherlich bestehen bleiben.

Geschäftsreisen im Post-Coroniticum

Eine weitere neue Erfahrung: Letzten Monat hatte ich meine jährliches Performance Review  – dieses Mal zum ersten Mal über Skype. Und während ich daran denke, dass in vielen Unternehmen dafür vor noch nicht allzu langer Zeit Menschen von überall auf der Welt eingeflogen worden wären, beobachte ich auch Recruiter, die Vorstellungsgespräche online führen, Agenturen, die Pitches via Videokonferenz geben, Händler, die Verträge over-the air verhandeln und abschließen, und sogar Berater, die mit ihren Kunden über webbasierte Kollaborationsplattformen interagieren.

Nachdem wir uns nun alle mehr oder weniger daran gewöhnt haben, Teambesprechungen oder Regeltermine von unserem behelfsmäßigen Homeoffice aus wahrzunehmen, stellt die oben genannte Art der Interaktion sicherlich die nächste Ebene der Telearbeit dar. Hat man dafür lange Zeit die persönliche Begegnung zumindest in den allermeisten Fällen als unverzichtbar angesehen, beweist uns jetzt die unfreiwillige Praxiserfahrung in der  Coronavirus-Situation, dass all dies in durchaus vernünftiger Weise möglich ist, auch ohne sich face-to-face zu treffen.

Was bedeutet das also für die – hoffentlich nahe – Zukunft, wenn das Coronavirus uns verlassen haben wird? Will dann jemand die Zeit wieder zurückdrehen und Stunden in Auto, Zug oder Flugzeug verbringen, nur um seinem Gesprächspartner eine Stunde lang persönlich zu treffen? Eher nicht. Das wiederum führt aber ganz offensichtlich zu drängenden strategischen Fragen zur Zukunft der Geschäftsreisen. Als Fluggesellschaft oder Eisenbahngesellschaft: Werden sich die Passagierzahlen vollständig erholen, oder folgen sie eher einem L als einem U oder V? Und als Autohersteller: Wird die Reichweite als gebetsmühlenartig genannter Hauptvorteil von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor gegenüber Elektrofahrzeugen für die Kaufentscheidung immer noch so entscheidend sein? Ich bin überzeugt, dass ein Großteil der Veränderungen, die wir jetzt in unseren Routinen und Prozessen umsetzen müssen, bleiben werden …

Erstveröffentlichung auf LinkedIn am 8. Januar 2020